Benny 2019: Brettspiele mit Miniaturen spielen, Kindern Zöpfe flechten und am PC mehr programmieren als Videospiele spielen. Zeiten ändern sich. Veröffentlicht vonBenny Matthiesen

Häme, Spott und entsetzte Gesichter rief das vor rund einem Jahr veröffentlichte Final Fantasy 14 Online hervor. Ein MMORPG aus dem Mutterland der Rollenspiele – ein Japano-RPG basierend auf einer der erfolgreichsten JRPG-Reihen westlich und östlich des Rio Grande. Ganz großes Kino sollte es werden; ein Desaster nannten es Fans und Kritiker. Die wenigsten WoW-, AoC-, EverQuest- und HdRO-Spieler werden selbst Hand an das merkwürdige Experiment aus dem Hause Square Enix gelegt haben, das die Tugenden der Fernost-Rollenspiele für einen internationalen Massenmarkt portieren wollte. Benny – das bin ich – hat sich das Machwerk nach einem Jahr Flick- und Patch-Arbeit angeschaut und versucht die Faszination Final Fantasys in Worte zu fassen.

Erwartungshaltung eines Rundauges

Die Collector's Edition zu FF IVX wird einem mittlerweile zum Spottpreis hinterhergeworfen.

Denke ich an MMORPGs, so leuchtet sogleich ein blinkendes Ausrufezeichen oder ein verlockend güldenes Ringsymbol über meinem Köpfchen. Ich sehe mein zwergisches Alter Ego Aberzillionen Aufträge erledigen, unerhört skrupellos Leichen fleddern und viel zu große Äxte und Schilde im unsichtbaren Lederranzen verstauen. Ich rase durch eine karg animierte Fantasywelt, deren Bewohner nach einem kurzen Besuch entweder zweigeteilt im Staube liegen oder gefälligst in absoluter Unterwürfigkeit für die banalsten Handlungen überschwänglichen Dank und Belohnung springen lassen, wie sie nur eine künstliche „Intelligenz“ vermag.

Ich bin ein MMORPG-Spieler, der nach ersten vorsichtigen Schritten Ende des letzten Jahrtausends vorrangig durch World of Warcraft und all seiner mehr oder minder erfolgreichen Bastard-Nachkommen sozialisiert wurde. Für mich stellen Online-Welten eine Möglichkeit dar, abseits des ganz realen Alltags schnell und direkt unterhalten zu werden, aber auch zu dominieren und zu herrschen. ICH BIN DER SCHMIED (oder Schneider) MEINER EIGENEN GESCHICHTE!

Das zusammengekniffene System Final Fantasy

Bitte, bitte gib auf dein Leben acht.

Hiromichi Tanaka, mittlerweile geschasster Produzent von Final Fantasy 14, tickte während der Konzeptionierung dieses Titels ganz anders. Das wird mir schon vor der Erschaffung meines künftigen Online-Abbildes klar. „Vergiss über das Spielen bitte nicht deine Familie, deine Freunde, deine Schule oder deinen Beruft. Einverstanden?“, fragt es auf meinem viel zu großen Flachbildschirm. Kurz bin ich versucht, die Frage mit einem „Nein, ich möchte mich in Eurer Welt verlieren!“ zu quittieren; schließlich zog mich das vorangegangene CGI-Cinematics mit seinen skurrilen Wesen, der fabulösen Geschichte und der bezaubernden Fantasy-Welt stärker in seinen Bann, als es die kurzen Kampf-Sequenzen eines WoW-Intros jemals geschafft hätte. Leben statt Kampf schien es zu schreien.

Am Ende der Charaktererstellung angekommen hat man die Qual der Startgebietswahl.

Einen beherzten Klick später offenbart sich sogleich das gesamt Dilemma meiner Entscheidung: Namen, Orte und nie zuvor erblickte Kreaturen tanzen durch meinen Kopf. Die Charaktererstellung überhäuft mich mit Hintergrundinformationen zu einer Welt und deren Völker, die ich kaum auszusprechen vermag: Eorzea nennt sich das Land, dessen Andersartigkeit mich noch vollends überrumpelt wird. Das japanische Entwicklerteam um Tanaka wollte nicht einfach eine Online-Welt schaffen, in der wir gemeinsam auf Monsterjagd gehen sollten, um immer größere und bösere Ungetüme zu erschlagen, damit wir uns im Glanze unseres Könnens auf ewig sonnen würden.

Film oder MMORPG? Die Antwort fällt nicht leicht.

Ganz der Philosophie folgend, dass ein Rollenspiel die Pforte in eine andere Welt aufstoßen könne, erschufen sie eben jene Welt, die viel mehr als Auftrag und Beute sein darf und sein will. Von Beginn an nimmt mich diese unsichtbare Kraft bei der Hand, die in fest vorgegebenen Sequenzen meinem Auftauchen in Eorzea einen Sinn geben möchte. Die Grenzen zwischen dem Spielen eines MMORPGs und dem Erleben einer Geschichte, die ganz japanisch viel zu langatmig ausgebreitet wird und vor Stereotypen nur so strotzt, verschwimmen während der Cutscenes immer mehr. Dass mein selbst geschaffenes Alter Ego in all diesen filmischen Abschnitten stets ohne mein Zutun agiert, verstärkt den Eindruck, nur Teil einer großen vorbestimmten Handlung zu sein. Anstatt von Beginn in das Schema F eines typischen MMORPGs gequetscht zu werden und mich mit kleinen Aufträgen an die Grundprinzipien der Spielwelt zu gewöhnen, werde ich Minute um Minute tiefer in die Rahmenhandlung gezogen, lerne die Gefahren der Welt kennen und neue Freunde treffen. Freunde, die allein durch die Fülle an gezeigten und scheinbar gelebten Emotionen vergessen machen, dass kein Herzschlag sie am Leben hält, sondern lediglich die Vorstellungskraft der Designer ihrem Geist Leben einhaucht.

Zwischensequenzen bestehen nicht aus der unmotivierten Aneinanderreihung von Charakter-Emotes.

In den anschließenden Stunden werde ich nur wenige Leichen auf meinem Weg durch Eorzea zurücklassen. Vielmehr bin ich damit beschäftigt, die quirligen Eigenheiten Final Fantasys zu durchschauen. Die Welt offenbart sich erst durch endlose Reisen. Die Bewohner einer kleinen Waldenklave bitten mich, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen – weitere Cutscenes beleben die Dialoge. Nach und nach wird mir klar, dass ich gar nicht gekommen bin, um gegen die größten und bedrohlichsten Gefahren dieser Parallelwelt in den Krieg zu ziehen, sondern erst einmal deren Geheimnisse aufzudecken, mit den hier Lebenden Beziehungen zu knüpfen und Teil einer Gemeinschaft zu werden. Probleme und Ängste der Einheimischen fließen nicht einfach in kurzen Aufgabentexten an mir vorbei, sondern degradieren mich erst einmal wieder zum Zuschauer – einem Zuschauer, dem das Herz in die Hose rutscht, wenn die neu gewonnenen Freunde von einem irren Pflanzenmonster bedroht werden und der schallend lacht, wenn fliegende Luftballon-Hamsterkätzchenfledermäuse mit goldenen Harfen und Tröten beruhigende Melodien erklingen lassen.

100 Prozent anders

Questen oder erkunden oder erleben? Westliche MMORPGler werden über scheinbar unmotiverte Gildenfreibriefe herziehen können.

Die kurzen Scharmützel mit Pilzen und Erdhörnchen indes sorgen dann doch wieder für Fragezeichen über meinem Kopf. Alles scheint hier anders zu sein: Kampfvorstellungen, Auftragsschemata und mein starres Klassendenken müssen sich einem neuen System öffnen – das wird seine Zeit brauchen und ich bin mir nicht sicher, ob ich dazu vollends bereit bin. Denn so sehr mich diese Welt mit ihren beinahe greifbaren Bewohnern und Problemen anziehen mag, so sehr bin ich doch auch ein Gewohnheitstier, das sich auf kurze, emotionslose Abenteuer-Quickies zum Feierabend freut.

Freunde?

Ich wurde erzogen, möglichst schnell und ohne große Umwege Erfolge zu erzielen – Alternativen wie Gartenarbeiten, Schreinertätigkeiten, Tänze und Tavernengespräche nur als netten Zusatz, nicht aber als erfüllenden Inhalt anzusehen. Wie schnell kam man questen? Welche Ausrüstung kann man bekommen? Wie viele Schlachtzüge gibt es auf der Höchststufe? Ist der Kampf Spieler-gegen-Spieler eSport-tauglich? All das scheint in Final Fantasy 14 zweitrangig. Ich spiele MMORPGs, Japaner leben sie und das müssen wir lernen, wenn wir von Final Fantasy 14 nicht nur fasziniert sein wollen, sondern Spaß daran haben wollen. Das ist mir jetzt klar.

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4 Kommentare

  1. Das ist halt der Unterschied, den die Japaner machen. Letztendlich sind 95% der MMOs, die sich als RPG ausgeben nichts anderes als Hack’n’Slay. WoW macht da ja den Primus, denn da verschwinden die wenigen RPG-Anteile immer mehr (sofern überhaupt noch welche vorhanden sind).

  2. Als begeisterter Fan vom letzten Final Fantasy MMO war ich von XIV maßlos enttäuscht. Sicher, inzwischen gibt es zwei Dungeons und das Kampfsystem wurde ein wenig angepasst, aber so schön die Cutscenes und Dialoge auch sein mögen, sosehr fehlt es dem Spiel nach wie vor an tatsächlichem Inhalt. Und wenn man schließlich feststellt, dass die gesamte Spielwelt derzeit praktisch nur aus drei unterschiedlichen Arealen besteht, verliert die ganze Latscherei nach und nach auch ihren Zauber. Ich hoffe inständig, dass das neue Entwicklerteam fleißig weiter tüftelt und das Spiel größer, besser und schöner macht, aber in seinem jetzigen Zustand würde ich das Spiel absolut niemandem empfehlen.

  3. ich stimme Tertius zu.
    WoW und konsorten sind Hack and Slay mit ein paar RPG elementen, aber von einem richtigem RPG einiges entfernt =)
    Richtige RPGs sind nunmal zeitintensiv und etwas langatmig zwischendurch, daher für leute die auf schnelles zwischendurch was umhauen wollen kaum geeignet. =)

  4. Als langjähriger FFXI Spieler bin ich voller Vorfreude in den FFXIV Start gegangen. So schön die ganze Welt ist, man kann problemlos in ihr versinken, so enttäuscht war ich von all den Problemen.

    Und selbst die inzwischen kostenlose Spielzeit und die vielen, vielen Verbesserungen konnten mich nicht mehr zurück holen. Denn bei FFXIV gilt um so mehr, wie für die meisten anderen MMOs: „Ganz oder gar nicht.“ …einfach mal einloggen und ein bischen Spaß haben ist kaum möglich, denn es ist nahezu eine Parallelwelt!

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