Benny 2019: Brettspiele mit Miniaturen spielen, Kindern Zöpfe flechten und am PC mehr programmieren als Videospiele spielen. Zeiten ändern sich. Veröffentlicht vonBenny Matthiesen

The_Witcher_3_Wild_Hunt_1Die E3 liefert wieder einmal den Beweis: Mit dem E-Peen wedeln nicht nur MMORPG-Spieler und Gamescore-Vernarrte. Auch Entwickler ergehen sich nur allzu gern in platten „immer größer und weiter, da automatisch besser“-Präsentation. Vor allem wir Rollenspieler scheinen vom Wachstumsdiktat heimgesucht zu werden. Wo das nächste Battlefield oder Call of Duty womöglich nach wenigen Minuten ein „GZ, du hast die Kampagne beendet, spiel doch endlich online!“ einblenden wird, werden wir mit aberhunderten Stunden Spielspaß, Spannung und Schokolade scheinbar beglückt. Dabei ist doch weniger oftmals mehr.

Schon gehört: The Elder Scrolls Online wird einen Spielmodus 50+ bieten, in dem man die MMORPG-Welt noch einmal durchleben darf – nur eben knackiger. Und The Witcher 3: Wilde Jagd wird neben der fünfzigstündigen Hauptgeschichte noch einmal 50 Stunden „manuelle Sidequests“ (bekloppt sinnleere „Übersetzung“ einer deutschsprachigen Webseite) bieten. Wie die kleine Mathefee weiß, macht das über 100 Stunden Spielspaß(!) in Geralts finalem Auftritt. Dabei soll die Fantasywelt laut Entwickler CD Projekt Red auch noch rund 35-mal größer sein als die des Vorgängers. 40 Minuten werde man selbst behuft von einem Ende zum anderen brauchen. Das schindet natürlich Eindruck; mutierten Rollenspiele doch über die Jahre von zeitbegrenzten Ausflügen in Das Schwarze Auge zu wahren Zeitfressern à la Kingdoms of Amalur oder noch schlimmer: Skyrim. Vor allem Bethesdas Rollenspielgigant veranlasste reihenweise Tester und Spieler dazu, in Lobeshymnen ob der riesigen Spielwelt einzustimmen.

Bei mir war nach rund 30 Stunden und dem Ende einer der ödesten Haupthandlungen des Genres die Luft vollständig raus. Zu viel Zeit habe ich damit verschwendet, eine Welt zu erkunden, die an vielen Stellen generisch langweilig war. Deren zufallsgenerierte Drachenattacken nach dem zehnten Angriff eines schuppigen Seelenspenders nur noch anödeten und deren tatsächlich herausstechende Abenteuer – und davon bietet Skyrim trotz allem einige – ich mühselig im Dickicht belangloser Missionen suchen musste. Schlimmer noch strafte mich EAs Kingdoms of Amalur, als es mit MMORPG-gerechten Ausrufezeichen-Aufträgen die Spielzeit auf plumpste Weise streckte. Spielspaß Fehlanzeige!

Nun also auch Geralt, dessen bislang straff durchchoreografierte Ausflüge in eine offene Welt eingebettet werden sollen. Man wird jagen dürfen, ein bisschen handwerken, hier und da Monster für einen gerechten Obolus erlegen und sich vielleicht sogar in einer wunderschönen Märchenwelt verlieren. Angesichts der langen Reisewege wird man wohl auch lustig durch die Welt teleportieren dürfen. Ganz nebenbei gilt es noch, die im zweiten Teil angestoßene Handlung um Königsmörder, Intrigen und dem unausweichlichen Krieg zwischen den nördlichen Königreichen und Nilfgaard zu einem befriedigenden, aber nicht zwangsweise befriedeten Ende zu bringen. All das soll also für Vervollständigungsmasochisten wie mich über vier Tage reine Spielzeit beanspruchen – wahrscheinlich wieder mit unterschiedlichen Wegen, sodass ein nochmaliges Durchspielen verpflichtend ist. Aber will ich das überhaupt?

Schon The Witcher 2 streckte die wirklich, wirklich tolle Hauptgeschichte durch Belanglosigkeiten wie die Jagd nach x Bargesten (nein, keine Kneipenrüpel) oder Unholden (gelegentlich ehemalige Kneipenrüpel), die trotz vertonter Dialogbegründungen nur mäßig motivierend blieben. Und wie soll es auch anders funktionieren, wenn das Questschema seit Jahren vornämlich „Töte X!“, „Hole Y!“ und „Bringe Z!“ vorgibt? Fesseln Rollenspiele nicht in erster Linie durch ihre Inszenierung? Sind es nicht ausgeklügelte, wendungsreiche Geschichten, die mich vergessen machen, dass ich nicht höchst selbst in der erdachten Fanatasywelt abenteuere?

Hand auf Herz: Wie oft verschwenden Entwickler Zeit und außergewöhnliche Ideen für optionale Geschichten, die nur ein Teil der Käufer je zu Gesicht bekommt? Ebenso wie in Skyrim oder der Witcher-Reihe doch nur gelegentlich. Im Gegenzug gibt es Massen an generischen Inhalten, die schon nach wenigen Minuten vergessen sind. Da hilft es auch nicht, wenn die Dialoge und Sequenzen aus der Hand eines Story-Schreibers stammen und nicht etwa aus der „Feder“ eines automatisierten Algorithmus.

Es ist bei Rollenspielen wie mit den Texten, die ich für Magazine und Webseiten verfasse: Oft ist weniger mehr – erst recht immer dann, wenn man sich nicht an dieses einfache Kredo hält. Wenn etwas auf den Punkt ist, wenn es unterhält, wenn es in Erinnerung bleibt und vor allem: Wenn der Rezipient nicht nach der Hälfte der Strecke die Lust verliert.

The Witcher 3: Wilde Jagd (hihi, Deutsch und Englisch) könnte Gefahr laufen, sich in Nichtigkeiten zu verlieren. Und damit läuft es Gefahr, niemals bis zum herbeigesehnten Ende durchgespielt zu werden. Da ist es doch nur wenig beruhigend, dass schiere Größe und Weite Kritiker zu besänftigen vermag, die andernfalls schmähend schrieben: „Schon nach 35 Stunden ist Schluss!“

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6 Kommentare

  1. Also meiner Meinung nach sollte es beides geben!

    Ich kann mit einem Skyrim und seiner epischen Weite genauso viel Spaß haben wie mit einem Witcher oder Mass Effect welche mehr auf Story und Inszenierung setzen. Aber am Ende sind da natürlich die Schwerpunkte von mir anders gesetzt. Ich glaube aber nicht, dass ein Spiel sowohl die straffe Inszenierung als auch die weite Welt gleichzeitig hin bekommen kann. Man sollte sich da lieber auf eine Disziplin konzentrieren und diese zur Perfektion treiben als zu versuchen zwei sehr unterschiedliche Ansätze zu vereinen. Wobei mich in diesem Punkt auch gern ein Entwickler des Besseren belehren darf.

    Dass man jetzt aber in jedem Spiel so sehr auf Größe setzt… vor einigen Jahren hatten wir diese Erscheinung schon einmal und ich fühle mich bei dem Witcher gerade erschreckend stark an die Gothic Serie erinnert. Teil 1 war ein tolles Spiel aber von Bugs verseucht und umständlich. Teil 2 war dann extrem rund und dachte den ersten Teil konsequent weiter. Aber Teil 3 war einfach zu überambitioniert und ein Desaster. Ich hoffe, dass der Witcher nicht den selben Pfaden folgt…

    1. Wenn ich so darüber nachdenke, dann hat GTA mit San Andreas meiner Meinung nach auch zu sehr auf Größe gesetzt und ist daran „gescheitert“. Vice City fand ich damals zumindest wesentlich besser weil kompakter. Mit GTA 4 haben sie das wohl auch eingesehen und sind ein Schritt zurück gegangen.

  2. Eine lange Hauptstory, also ein längerer Weg der das Ziel darstellt, wäre in vielen Berreichen einfach mal wieder angebracht, ich will nicht nach einem Wochenende sagen können, „durchgespielt!“

  3. Hand auf Herz: Wie oft verschwenden Entwickler Zeit und außergewöhnliche Ideen für optionale Geschichten, die nur ein Teil der Käufer je zu Gesicht bekommt?

    Und nur weil das Gros der Spieler da draußen Spiele nicht durchspielt ist das jetzt ein Freibrief für „Casualisierung“!? Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, The Witcher 2 wäre so ein Erfolg geworden, wenn es nur ein (stärker als es eh schon ist) stur lineares Abenteuer erzählen würde!? Ich will so etwas nicht spielen. Und der Kern, der wichtige Teil der Spieler, die Fans, die das Projekt durch Mundpropaganda groß machen, will es offensichtlich auch nicht.

    Nicht falsch verstehen: Ich bin kein Freund von „Zwanghaft Open-World“. Aber ich will trotzdem meine 100h Spielerlebnis. Alleine deswegen schon, weil sich dann der Kaufpreis erst richtig gelohnt hat.
    Und wenn bei jemandem bei Skyrim nach 30h bereits die Luft raus war… Nun, dann war es einfach nicht sein Spiel. Jeder hat das Recht, dass ihm etwas nicht gefällt. Aber keinesfalls ist a) das Spiel in diesem Fall schuld noch b) muss diese Meinung für alle anderen auch gelten.

    Mir ist natürlich Qualität auch lieber als Quantität. Aber wenn ich ein Rollenspiel so ganz ohne Sidequests hätte, ohne etwas zu entdecken, und sei die Welt auch noch so klein, muss ich mich doch ernsthaft fragen, ob das noch etwas mit Qualität zu tun hat. Das ist für mich dann eher „lieblos hingerotzt“.

    Über die Qualität von The Witcher 3 zu diesem Zeitpunkt zu diskutieren ist unsinnig. Also sparen wir uns das am besten einfach bis nächstes Jahr auf, wenn es auch wirklich jeder spielen kann. Dann wird sich ja zeigen, ob CD Projekt Red die Erwartungen erfüllen konnte. (Das gilt natürlich auch für jedes andere kommende Projekt)

  4. Wirklich, ihr habt es erst bei Witcher 3 gemerkt? Ausgerechnet bei der Witcher-Serie (die zudem schon immer Open-World-Ambitionen zeigte)? Bisschen spät, oder. Witcher 3 ist vielleicht das einzige Spiel seit Jahren, wo ich mir da keine Sorgen machen würde (seit ich inmitten der Entwicklungsphase von Dragon Age noch annahm, es wäre Open World, es aber bislang niemand auf die Reihe gebracht hat, außer vielleicht JRPG). Bethesda und Blizzard haben kein Patent auf Open World. Die haben es ganz einfach auf eine bestimmte Weise gemacht, große Rollenspiele gab es aber schon viel früher, und man kann es ganz anders machen als die Ebengenannten.

  5. Ich habe lieber ein schön straightes Spiel mit guter Inszenierung, als ein ewig lang gestrecktes. Skyrim werde ich eben aus dem im Artikel genannten Gründen nicht spielen. Ich habe gar keine Zeit dafür. Ich merke richtig, wie ich bei einigen Spielen dankbar bin, dass der Abspann schon nach 10-20 Stunden über den Bildschirm scrollt. Ich möchte bei den meisten Spielen die Geschichte erleben, die Charaktere kennen lernen und die Musik genießen. Dafür brauche ich nicht mehr Stunden, sondern wenige intensive.

    Aber klar, ist das Geschmackssache. Zwischendurch möchte auch ich Open-World Luft schnuppern, wobei mir dafür eine paar Tage EVE reichen. Aber in der Regel habe ich bei noch keinem Spiel gemerkt, dass eine hohe Spielzeit das Spiel besser gemacht hätte (reine Open World Titel außen vor gelassen).

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