Benny 2019: Brettspiele mit Miniaturen spielen, Kindern Zöpfe flechten und am PC mehr programmieren als Videospiele spielen. Zeiten ändern sich. Veröffentlicht vonBenny Matthiesen

Blutorgien und abgetrennten Körperteile als Schockmomente waren gestern. Im Jahr 2014 richtet sich Videospielegewalt nicht länger gegen Einzelne, das haben die Pressekonferenzen der E3 gezeigt. Aber wenn Frags als abstraktes Punktekonto nicht mehr im Zentrum der Mehrspielergefechte stehen, geht es nur noch um Gewaltexzesse. Diese werden dank ausgeblendeter Opfer offenbar gesellschaftsfähig.

BOOM! Der Schuss aus dem Raketenwerfer sitzt. Der anvisierte Hubschrauber geht samt Insassen in Flammen auf, während das Punktekonto des Spielers den Abschuss goutiert: Wieder ist das eigene Team dem Sieg ein Stückchen näher gekommen. Für Menschen, die mit Videospielen nichts am Hut haben, mag allein dieser Vorgang schon abartig erscheinen. Da sitzt wirklich jemand am PC, um andere Menschen abzuschießen. Absurd! Wir Videospieler sehen hingegen etwas vollkommen anderes. Nicht das zu Boden stürzende Wrack zeichnet uns ein Lächeln auf die Lippen, sondern die Gewissheit, unserer Mannschaft im Wettstreit mit einer anderen Gruppe Spieler einen Vorteil errungen zu haben: Es steht 1:0 für uns.

Nicht jeder muss diese Abstraktionsleistung vollbringen können. Immer wird es Menschen geben, die sich angewidert abwenden und fragen: „Aber du hast da doch gerade zwei Menschen getötet! Stört dich das nicht?“ Klare Antwort: Nein. Bislang plagte mich kein schlechtes Gewissen, wenn ich über Kimme und Korn auf den roten Namensschriftzug vor mir zielte. Warum auch? Beim Zweifelderball (oder wie der Klassenfeind in seiner Kriegsgeilheit zu sagen pflegt: Völkerball) im Schulsport ergötzte ich mich auch nicht am symbolischen Ableben meiner Mitschüler. Nur manches Mal kicherte ich hämisch, wenn klein Susis Köpfchen die mitunter wuchtigen Gesetze der Physik verstehen lernte.

Übertragen auf das Jahr 2014 und die Pressekonferenzen der E3 würden wir wohl heute zum Ende einer Zweifelderball-Partie in den brennenden Ruinen unserer Turnhalle stehen. Das Schulgebäude wäre schon längst in einem Inferno in sich zusammengefallen, während ein lodernder Flugzeugträger im Begriff ist, unseren Goldplatz aufzupeppen. Was das mit dem eigentlichen Spiel und dem Ringen um Punkte zu schaffen hat, bleibt wohl nur den Erfindern dieser Spektakel vorbehalten.

Gewalt scheint in manchem Videospiel zum Selbstzweck geworden zu sein. Dabei ist es nicht mehr nur die Gewalt gegen Einzelne, die effektreich in Szene gesetzt wird, sondern der Gewaltexzess gegen die unbekannte Masse. Was ich bislang in Diskussionen mit Nichtspielern immer wieder verteidigt habe, verstehe ich nun selbst nicht mehr. Der fundamentale Unterschied zum gezielten Feindabschuss liegt im Mangel an spielerischer Relevanz: Wenn wir Spieler in Battlefield Hardline ganze Städte in Schutt und Asche bomben, werden keinem Punktekonto die Hunderten oder gar Tausenden Tode der unbeteiligten Bewohner gutgeschrieben. Die Hochhäuser explodieren ausschließlich der Explosion wegen.

Es sind nicht länger fiktionale oder historische Schlachtfelder, auf denen wir mittels virtueller Gewalt entscheiden, welches Team besser koordiniert, taktischer oder dank überragender Reflexe des Einzelnen den Sieg davon trägt, sondern scheinbare Alltagssituationen in vertrauten Umgebungen. Es ist nicht länger eine abstrakte Gewalt gegen Individuen, die nur wenige Sekunden später erneut ins Gefecht stürmen wie einst Mitschüler, die sich von der Seitenlinie zurück ins Spiel werfen konnten, sondern bleibende Zerstörung und Verwüstung. Die Gewaltexzesse moderner Videospiele zeigen uns die – wenn auch übertrieben inszenierten – Konsequenzen unseres Handelns auf die Umgebung und verstecken sich zugleich hinter dieser gesichtslosen Massenvernichtung. Das ist eine Entwicklung, die mich als Videospieler verstört. Eben weil sie Gewalt bis zum Exzess treibt, ohne überhaupt noch eine Rechtfertigung für diese Gewalt zu suchen. Damit bietet sie mir auch keinen Ansatzpunkt mehr, sie zu rechtfertigen, eben weil sie alleinig der Effekthascherei dient.

Viel bedenklicher ist jedoch, dass Kontrollstellen wie USK und FSK diese moderne Hypergewalt offenbar als nur wenig bedenklich einstufen: Es scheint ganz normal zu sein, dass Zwölfjährige dem Man of Steel zujubeln, während er eine ganze Stadt dem Erdboden gleichmacht. Opfer wird es schließlich nicht geben, solange wir sie nicht zu sehen bekommen. Auch stört man sich bei diesen Stellen nicht daran, dass vermeintlich heldenhafte Autobots in ebensolchem Eifer wie gewissenlose Decepticons Straßenzug um Straßenzug zertrümmern – wiederum unter den Begeisterungsstürmen der Pre-Teens. Gewalt scheint somit gesellschaftsfähig zu sein, wenn sie sich nur auf Sachgegenstände bezieht und unmittelbare Konsequenzen sowie das Schicksal der unter ihr Leidenden ausgeblendet werden. Das verstört mich mehr als jeder Bonuspunkt, den ich jemals für einen Headshort kassiert habe.

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8 Kommentare

  1. Man kann in Computerspielen auch mehr sehen als sie eigentlich sind…Computerspiele…
    Nur weil ich meinem plastik Indianer den Kopf abreisse nachdem er den Kampf mit dem Cowboy verloren hat, heisst das nicht das Plastikfiguren inakzeptabel für Kinder sind. Ebensowenig neige ich zu Gewalt in echten Situationen. Es ist ein Spiel. Und da kann ich machen was ich will.

  2. Benny, ich habe schon 1992 mit Freuden Atomwaffen auf Dschingis Khans Städte geschleudert und seine Streitwagen mit meinen Panzern überrollt, ich habe in frühester Kindheit kleine Wesen verdroschen, herumgeschleudert und gar geopfert, nur damit sie schneller Buddeln. Die abstrakteste Art der Auslöschung siehst du meiner Meinung nach im Spiel Defcon – Atomkrieg pur, Punkte für die meisten Opfer.

    Dein Vergleich mit dem Völkerball (du oller Roter!) ist doch super, ebenso würde ich gerne mal Räuber und Gendarm heranziehen. Man sucht nun mal die Gewalt als meist männlicher Mensch, weil sie eine gewissen Faszination hat, weil sie etwas ist, mit dem wir im realen Leben meist zum Glück nicht in Berührung kommen. Denn schließlich will fast jeder kleine Junge lieber Cowboy, Pirat oder Musketier an Karneval sein, als Zauberer, Clown oder Bushaltestelle. Auch nahezu alle unsere frühkindlichen Serien beinhalteten viel Gewalt, sei es von Bonanza, über das A-Team, die Samurai Pizza Cats oder Saber Rider – überall gabs auf die Mütze und im realen Leben hätte es Dutzende Tote gegeben.

    Ich finde die Darstellung von Gewalt in Spielen wie Battlefield und co. vollkommen in Ordnung, lediglich die „Messer-Kills“ könnten etwas weniger drastisch sein. Brennender Helikopter? Passt für mich, brauche ja auch nur mal die Tagesschau gucken, da gibt’s ja je nach Sender auch ständig syrische oder ukrainische Abschüsse.

    Ich denke, wenn wir Gewalt und deren Darstellung einfach als Teil unserer Gesellschaft akzeptieren und uns nicht ständig künstlich darüber aufregen, ist auch niemandem geschadet. Und gerade die Abstraktion finde ich sehr viel besser, als diverse Schwertkampf-Rollenspiele, wo man die Feinde regelrecht zerhackt. Den Witcher 2 hätte ich z.b. niemals als 16 freigegeben und habe mich sogar damals bei der USK beschwert – und nein, es ging nicht um Triss Ti… Brüste, die fand ich super *g*

    Und wie Tweakmen schon sagt: Viel bedenklicher ist die Darstellung bei Game of Thrones, Gladiatior, 300 und co. Wenn man also über Gewaltexesse spricht, sind Computerspiele im Jahr 2014 sicherlich der falsche Ansatzpunkt.

    1. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass Tweaks Kommentar ironisch gemeint war.

      Moderne Serien sind in der Darstellung drastischer als Videospiele? Die explizite Gewalt kam in den E3-Trailern ebenfalls nicht zu kurz, da wurden Kehlen aufgeschlitzt, Menschen zerfleischt und im Kugelhagel so Dutzende zusammengebrochen – aber daran haben wir uns ja gewöhnt. Und genau deswegen scheint man mittlerweile zu dieser neuen, noch größeren Form der Zerstörung gekommen zu sein. Denn wen schockiert diese „normale“ Gewalt noch? Selbst in Assassin’s Creed scheint man sich mittlerweile die Aussichtstürme über Leichenhaufen selbst basteln zu können.

      Da sind mir selbst Spiele wie die in Deutschland nicht erlaubte Menschenjagd lieber, weil dort dem blutrünstigen Metzeln ein „Spielsinn“ gegeben wurde. In Videospielen, Serien und Actionfilmen geht es hingegen mitunter nur noch um die immer drastischere Darstellung, ohne tieferen Sinn.

      „Ich denke, wenn wir Gewalt und deren Darstellung einfach als Teil unserer Gesellschaft akzeptieren und uns nicht ständig künstlich darüber aufregen, ist auch niemandem geschadet.“

      Vielleicht ist genau das der Grund, warum der Schrecken während der Tagesschau zunehmend schwindet. Irgendwie hat man das ja alles schon gesehen – und das in der Objektzerstörung viel drastischer. Gab’s da eigentlich Opfer? Wird schon nicht so schlimm sein.

  3. Es geht Benny in dem Artikel offensichtlich nicht (nur) um Gewalt per se. Um das zu verstehen, muss man ihn natürlich mit einer gewissen Aufmerksamkeit gelesen haben, statt bei den Schlagwörtern Gewalt und Spiele beißreflexartig Phrasen zu dreschen.

    Sicher kann und sollte man auch über die direkte Gewalt in Spielen diskutieren, die ungefähr so aussieht: Schuss auf Gegner und tot ist er. Die Diskussion darum findet ja auch statt. Was aber anscheinend niemand wahrnimmt oder was einfach niemanden interessiert, ist die weniger direkte und somit weniger offensichtliche Gewalt. Wenn man aus Flugzeugen ganze Gebäude plättet, tötet man damit auch alle Bewohner dieses Gebäude. Das ist nun mal der Kontext in dem man sich bewegt: in Häusern leben Menschen. Wie viele virtuelle Leben in Crackdown dran glauben müssen, hat wahrscheinlich auch niemand gezählt. Ist ja nur ein Gebäude (Auto, Tunnel, Flugzeug, Schiff, Planet, …).

    Das heißt nicht, dass diese Spiele verwerflich sind und nicht auch Spaß machen können. Aber zu reflektieren, was man da eigentlich gerade mit dem Atombombenabwurf getan hat, das darf man von den Spielern ruhig einfordern.

    1. „Aber zu reflektieren, was man da eigentlich gerade mit dem Atombombenabwurf getan hat, das darf man von den Spielern ruhig einfordern.“

      Er hat mit der Maus/dem Controller eine Eingabe vorgenommen und ein paar tausend Pixel haben darauf reagiert. Er hat niemanden getötet, er hatte (jedenfalls hoffe ich das) keine Phantasie, gerade gemordet zu haben und höchstwahrscheinlich auch kein Allmachtsgefühl empfunden, weil er gerade Leben ausgelöscht hat. Das hat er nämlich nicht. Der kleine Junge auf dem Spielplatz, der mit Daumen und Zeigefinger zielt und „Peng, du bist tot!“ ruft, meint das sicher auch nicht im Sinne von brachialer Gewalt.

      Den Wert eines virtuellen Lebens zu beurteilen, halte ich auch für schwierig. Denn dann sind Klempner die auf Schildkröten springen auch wieder Monster.

      Wir Spieler sind eben keine Bomberpiloten, Scharfschützen oder Nuklearwaffen-Controller – wir müssen nicht reflektieren, da wir nichts brutales tun. Ja, das wird ad absurdum geführt, durch Streitkräfte, die ihre Soldaten mit Shootern trainieren lassen, um deren Schuldgefühle etc. abzustumpfen, ist aber nicht die Regel sondern eher eine unrühmliche Ausnahme. Ich sehe Computerspiele wie auch Filme und Serien als reine Unterhaltung. Darin werden Konflikte dargestellt und es wird absichtlich mit krasser Darstellung gearbeitet, um eben zu schockieren. Daher gehört das selbstredend nicht in Kinderhände und ich stimme Benny in soweit zu, dass die USK/FSK ruhig viel öfter das 18er Logo raushauen dürfte, aber eine zunehmende Gewaltorgie in Spielen vermag ich aufgrund der diesjähirgen E3 nicht zu erkennen.

    2. Wenn man es auf die physikalische Ebene runterbrechen will, dann hat man wirklich nur ein paar Knöpfe auf einem Eingabegerät gedrückt. Aber das ist eben nicht alles.

      Spiele zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie etwas erzählen und zeigen. Wenn ich die Maustaste drücke, drücke ich eben nicht nur die Maustaste, sondern wirke einen Zauber oder drücke auf’s Gas. Wenn dem nicht so wäre, könnte ich mir auch nur eine Tastatur kaufen und darauf ein paar Knöpfchen drücken, ohne Monitor der mir etwas zeigt und ohne Lautsprecher, die mir was auf die Ohren geben. Die Vorstellung im Wald, zwischen Eichhörnchen und Schmetterlingen auf einem Baumstumpf sitzend der Tastatur zu frönen hat zwar was heimliches, aber nichts mit unserem Hobby zu tun.

      Wir geben Befehle und die werden auf unserem Bildschirm umgesetzt. Das unterscheidet Spiele auch von Filmen und Büchern. Im Endeffekt mögen es nur Polygone oder Pixel oder sonst was sein, was sich da auf dem Monitor bewegt. Aber darin erschöpft sich ein Spiel eben nicht. Das Spiel stellt etwas dar, eine Fantasywelt, Figuren und Geschichten – und oft genug eben ein Abbild unserer Realität. Und genau das ist der Grund, warum man nicht nur ein Haus wegbombt, sondern mit ihm die Bewohner.

      Es ist und bleibt ein Spiel, dort stirbt niemand wirklich. Es wird aber so getan und darauf kann man ruhig hinweisen. Gerade und insbesondere wenn Spiele immer realistischer werden und wenn Handlungen wie die oben beschriebene gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Dann ist der Wohnblock halt Asche, who cares?

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