Benny 2019: Brettspiele mit Miniaturen spielen, Kindern Zöpfe flechten und am PC mehr programmieren als Videospiele spielen. Zeiten ändern sich. Veröffentlicht vonBenny Matthiesen

Verfügbarkeit: ohne Wenn und Aber

Ich bin übersättigt! Ein neues Album meiner Lieblingsband erscheint. Noch am selben Tag habe ich es im Briefkasten. Über den neuen Bestseller-Roman weiß ich bereits alles Wichtige, bevor ich ihn in meinen Händen halte. Aktuelle Kinofilme wollen vor dem Gang ins Lichtspielhaus auf imdb begutachtet werden. Man will sein Geld schließlich nicht für Nonsens aus dem Fenster werfen. Es kommt ein neues Videospiel auf den Markt. Der Online-Versandhandel oder CD-Key-Store bringt es mir binnen Stunden beziehungsweise wenigen Sekunden. Es ist nur eine Frage des Geldes und man bekommt einfach alles frei Haus geliefert.

Es gibt für mich einfach nichts mehr, was ich nicht sofort besitzen könnte. Und genau deswegen habe ich schon alles gesehen. Brutale Action? Alt! Strategische Gefechte? Seit Jahren bin ich Meister auf dem Schlachtfeld. Echte Gefühle? Cutscenes kann man überspringen. Epische Taten? Täglich, ach was schreib ich da: Dank Dungeon-Finder viertelstündlich!

Eine Open World kann mir keine Freudentränen mehr in die Augen treiben, da ich seit Jahren durch unzählige Open Worlds gefahren, gerannt, gebrandschatzt, geflohen, geflogen und geschlichen bin. Auch ein neuer GTA-Teil ist nur eine Fortsetzung des klassischen Prinzips. Nicht mehr aus der Vogelperspektive, aber dafür mindestens genauso redundant. Die Geschichte mag neu gewesen sein, aber dennoch kommt sie einem mit jeder weiteren Wendung bekannter vor. „Irgendwie gab es das schon einmal in einem Film.“

Früher war alles besser?!

Als ich nicht mehr stundenlang für eine Banane anstehen musste, durfte ich mehrere Monate mein knappes Taschengeld sparen, um mir endlich ein neues Videospiel zu kaufen. Die Siedler 2 begeisterte mich über Monate. Die Erweiterung brachte einen Editor, in dem ich ganz Deutschland nachbaute und besiedelte.

Auf dem Dachboden meiner Eltern liegen noch heute stapelweise Skizzen und weit verzweigte Missionsbäume zu meiner eigenen StarCraft-Kampagne, inklusive unterschiedlicher Enden. Dabei war das bereits der Nachfolger zu einem StarCraft-Textadventure, das ich über Wochen unter QBasic programmiert hatte.

Die Spiele beschäftigten und begeisterten mich über einen langen Zeitraum. Nicht weil sie besser als alles bisher Gesehene waren, sondern weil ich mir in diesem Zeitraum schlicht kein anderes Spiel leisten konnte. Ich war sozusagen gezwungen in diesen wenigen Spielwelten zu leben, da ich, immer dann, wenn ein neues Spiel auf den Markt kam, notgedrungen zu Freunden und Bekannten gehen musste. Verdammt, es gibt „Feunde“ aus der damaligen Zeit, die nur wegen der Spiele „Freunde“ waren. Heute würde man wohl „Kollegen“ sagen…

Reale Interaktion aus Mangel geboren

Nach der Schule gingen wir zusammen in kleinen Gruppen zu einem Freund nach Hause, da nur er ein Bundesliga Manager Professional besaß. (Ich blende an dieser Stelle die in unseren Kreisen verpönten Raubkopien gekonnt aus. 😉 ) Wir trafen uns zu stundenlangen Hanse-Spielrunden und bauten gemeinsam Themenparks oder unterirdische Behausungen als Dungeon Keeper.

Heute skypen wir ab und an mal eine Runde und verabreden uns für später zum BF2-Spielen oder einer Funmap in Warcraft 3. Jeder sitzt bei sich zu Hause und startet sein Spiel. Eine bezahlte Kopie hat natürlich jeder. Kostet doch nichts.

Auch wenn wir gemeinsam etwas erleben, sind wir doch alle für uns allein in unseren eigenen vier Wänden. Was bei Freunden und Bekannten in fernen Städten noch eine unglaubliche Errungenschaft moderner Videospiele und Vernetzung ist, wirkt im Freundeskreis zunehmend befremdlich.

Neue alte Probleme betreten die Bühne

Noch wesentlich unbegreiflicher ist es jedoch, dass es Tage gibt, an denen wir trotz all dieser Verfügbarkeit und Unterhaltung um uns herum nicht wissen, was wir gemeinsam spielen sollen. Schon wieder in den virtuellen Krieg ziehen oder Monstern in deren Höhlen die Beute abjagen? Alt!

Meine Güte, selbst der Mehrspieleraspekt ist überreizt. Alles wird zum MMO erweitert reduziert (kein Schreibfehler!). Innovationen beschränken sich auf: „Vernetzt Euch mit Euren Freunden und spielt das selbe Spiel wie vor 3 Jahren. Jetzt neu: mit Monatsgebühren!“ Und wirkliche Neuheiten liegen wie Blei in den Regalen, da der Massenmarkt die Attitüde alter Bauern übernommen hat.

Ist das alles wirklich so schlimm?

Nein, auf keinen Fall. Ich habe mich damit abgefunden, dass es nicht mehr darum geht, über Stunden, Tage und Wochen von einem Spiel gefesselt zu werden. Schnelllebig ist das neue addictive. Anstatt Wochenlang durch die aufwändig programmierten Clubs eines GTA4 zu ziehen, ziehen ich die elf Stunden eines Mafia 2 vor. Anstatt stundenlange Vorbereitungen für den wöchentlichen Schlachtzug zu treffen, ziehe ich allein in ein Scharmützel, begleitet von meinem treuen NSC-Begleiter. Nach spätestens 30 Minuten ist der Spaß vorbei und ich widme mich einem neuen, innovationslosen RPG, das zumindest in Ansätzen die Fassade einer spannenden Geschichte aufrecht erhalten kann. Und genau deswegen schreibe ich noch immer gern über Videospiele – trotz all der Veränderungen beziehungsweise Nicht-Veränderungen.

Einen Vorteil hat das Ganze: Kennst du eins, kennst du alle. Der Markt mag mit immer mehr, immer aufwändigeren Titeln überflutet werden, aber im Kern sind sie doch alle gleich.

Ich werde wohl nie wieder mit Freudentränen in den Augen vor einem Bibliotheksregal stehen können, wenn nach Monaten des Wartens mein heiß ersehntes Buch/CD/DVD/Film/Spiel endlich einmal nicht ausgeliehen ist. Aber ich werde mich an den Gesichtern meiner unbedarften Freunde und Familienmitgliedern erfreuen, solange diese glauben, ich könnte zaubern, wenn ich ihnen eine so einfache Freude mache. Ich fühle mich im Augenblick ein bisschen wie Gandalf.

Und danke!
Benny

p.s. Haha, ich habe dir gerade Zeit gestohlen.
Ich bin einer der grauen Herren aus Michael Endes Momo. ;p

Beteilige dich an der Unterhaltung

12 Kommentare

  1. *applaus*

    Magst Du nicht doch mal endlich ein Buch von und für Geeks, Nerds, Noobs, Naps und Zocker schreiben? Das wäre zumindest in unserem Freundes- und Bekanntenkreis der Renner. Und wer weiß, vielleicht würden uns auch endlich mal unsere Eltern verstehen.

  2. Ich stimme dir voll und komplett zu ! Daumen hoch!

    Speziell für diejenigen, die schon mehr als 20 Jahre PC-Spiele auf den Buckel haben
    trifft das „haste ein Spiel gesehen, haste alle gesehen“ voll zu.
    Dies spitzt sich in den letzten Jahren mehr und mehr zu.

    Speziell noch dazu die Kurzlebigkeit und Oberflächlichkeit des Web 2.0 mit online und offline sein und alles live/Life im Internet zu sein.

    Wo führt uns das noch alles hin ?

    Wusstet ihr schon, dass es eine Barbie-Puppe mit ner Cam und USB-Anschluß schon gibt !!!

  3. Brillant triffts auch. Hut ab, Herr Matthiesen, da kann jemand schreiben 🙂

    Deine Faszinationslosigkeit teile ich mehr oder minder, auch wenn mir (als älterem Menschen 🙂 ) das Konzept „Alt aber gut“ doch zusagt. Die langeweile in vielen aktuellen MMOs kann ich jedoch ohne weiteres nachvollziehen, selbst mein geliebtes HdRO lässt mich seit Monaten vollkommen kalt.

    Aber – die Tendenz scheint mir unverkennbar – gerade das Story-Erlebnis steht bei vielen Spieleentwicklern ja auf der Agenda. Und das reißts dann ja doch raus, wie ein gutes Buch oder ein guter Film.

    Schreib mehr, guter Benjamin

  4. Genial.

    Du hast die derzeitige Situation vieler Gamer (darunter auch meiner Wenigkeit) wahrlich perfekt beschrieben.

    Mich persönlich treibt es, wegen der genannten Dinge, wieder zurück zum guten alten Bücher lesen, was teilweise einen hundertmal höheren Unterhaltungswert hat, als so manches, aufwendig programmiertes, „Super-Duper-Bling-Bling-BÄM-Mega-Game“ der letzten Jahre. (Mein Buchtipp am Rande: „Otherland“ von Tad Williams)

    Der Mensch brauch nun einmal Abwechslung und Neuerungen in seinem Leben, nur das Medium der Unterhaltung auszubauen bringt ihn nicht weiter. Ein guter Inhalt voller Ideen ist viel wichtiger.
    Ich hoffe sehr, dass es sowas auch für das Medium Videospiel bald mal wieder geben wird.

    In diesem Sinne, weitermachen Benny

  5. Ich kann auch nur zustimmen. Und im Gegenteil wurde mir durch die Lektüre keine Zeit gestohlen sondern eigentlich, wohl eher ungewohnt fürs Netz, sinnvoll gefüllt. Danke dafür.

  6. Huhu Gandalf,

    danke für den tollen Beitrag! Die Zeit kannst du gerne haben!

    Ich spiele jetzt seit Jahren eigentlich nur noch WoW. Habe die meisten von dir gennanten Titel auch gespielt und sehr viel Freude mit ihnen gehabt. Ich weiss noch genau wie fasziniert ich vor Space Quest gesessen habe und die Pixelfigur per Textbefehl mit Leben versehen habe…

    Neue Spiele habe ich den letzten Jahren immer wieder mal an- oder kurz durchgespielt. Im Endeffekt landete ich dann doch wieder bei WoW.

    Das verzwickte ist m.M. die Community. Da hat WoW wahrhaft grosses verbracht. Kein anderes Spiel kann mir das Gefühl geben was WoW in den letzten Jahren an „Ingame-Bekanntschaften“ gebracht hat. Da müsste schon mein halber Server gleichzeitig mit mir DAS neue Spiel anfangen um mir ähnliches zu vermitteln. Ein Riesennachteil für alles was an Konkurrenz momentan auf den Markt kommt.

    So gesehen waren die MMOS nicht nur eine Innovation sondern irgendwie auch das Aus (für mich) für andere Spielegenres. Die sind seit WoW nur noch Beiwerk.

    Computerspiele sind für mich auf jeden Fall nicht mehr dasselbe wie früher, das habe ich nach diesem netten Beitrag erst richtig erkannt!

    Ich hoffe momentan lediglich auf Diablo 3 als Heilsbringer und ein wenig (altes) neues 😉

    Grosse Freudenstürme und Jubelschreie habe ich dann auch eher im RL. Das VL ist zwar nach wie vor spannend aber du hast schon recht, so richtig neues ist irgendwie nicht mehr dabei…

    mal interessehalber: wie lange schreibst du an so einem Artikel? ist das eher lange durchdacht oder fällt das so in der Mittagspause aus dir raus?
    Auf jeden Fall Daumen hoch und gerne mehr so kurzweiliges !

    Grüsse Totti

    1. Das tippt sich dank 10 munterer Finger schnell. Was mag das sein? Irgendwas um die 10k Zeichen. Es fuhr wie ein Blitz in meinen Kopf und ’ne Stunde später stand es hier. Danach noch schnell Korrektur lesen, ein kommerziell verwendbares Bild finden und fertig. Wobei man natürlich bedenken muss, dass die Recherche für den Beitrag ein ganzes Leben dauerte. 😉

      p.s. Man bin ich mach mal froh, dass ich vor Jahren mit http://www.tipp10.de angefangen habe.

      Und noch etwas Unterhaltendes hinterher: Narrenturm-Trilogie von Andrzej Sapkowski lesen. Der Herr kann nicht nur witchern, sondern auch unglaublich tolle Historien-Fantasy-Kalauer-Bücher schreiben. Viel besser und unterhaltsamer als die letzten 20 RPG-Storys, die man durchspielen „musste“.

  7. Hey Benny,
    was ich erkannt habe: Abwechslung ist wichtig. Und gerade im INDIE-Sektor tut sich doch einiges wie wir mit minecraft wissen. Auch macht mir WOW seit der Radikalkur deutlich mehr Spass und wenn ich an The Witcher denke: das hat dermaßen einen Drive in mir ausgelöst, dass ich dem Punkt Faszinationslosigkeit nicht zustimmen kann. Ich muss eher einen anderen Punkt einbringen:
    Ich bin unter der Woche meistens abends recht müde. Zu Schulzeiten war man im Grunde doch um 14 Uhr daheim und hat ab circa 16 Uhr doch so ziemlich alles mögliche gezockt. Mit Seiten wie Kongregate so Sachen wie BRAID, dem grade erschinenen Archon Classic, Minecraft , Cataclysm, Two Worlds 2, Risen, aber auch so Dingen die von der Presse verpönt wurden wie Hellgate: London oder auch Untergrund Rollenspielen vom Herrsteller Spideweb, Konsolen wie der Pandora kann sich echt niemand über Faszinationslosigkeit beschweren. Ich sehs eher sogar so, dass es momentan so viel Spaß macht wie schon lange nicht mehr.

    Greetings.
    Chip

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