Ist Arcania: Gothic 4 wirklich ein absolut verkorkstes Rollenspiel? Wie muss man den neuesten Streich der Gothic-Reihe bewerten? Und warum können die Wertungen gestandener Spieleredakteure zu einem deutschen Rollenspiel so weit auseinanderklaffen wie im Falle Arcanias? Wer hat recht? Gamestar, buffed, Gamersglobal, PC Games oder 4players? Und was muss eine Wertung leisten?
Arcania: Gothic 4 hat in den vergangenen Tagen die Spieleredaktionen weltweit aufgemischt. Die Bewertungen reichen von ganz gut bis absolute Grütze. Manch einer kann der Reduktion der Rollenspielinhalte etwas abgewinnen, während andere unter Rollenspiel schlicht viel mehr nutzlose Tätigkeiten verstehen, die man abseits des eigentlichen Spielziels verfolgen kann. Die eine Seite schreibt von einem passablen Rollenspiel mit netten Kämpfen und schwärmt von einer wunderschönen mittelalterlichen Welt, die andere Seite macht keinen Hehl daraus, dass sie sich ein gothiceres Arcania gewünscht hat und mit dem Endprodukt schlicht nicht zufrieden ist.
Test-Zitate: Was meint die „Fachpresse“?
„Geschichte und Spielwelt sind uninspiriert und unspannend, Dialoge und Charaktere sind oft lächerlich, die Quests einfallslos. Das Kampfsystem besteht zu 90 Prozent aus anspruchsloser Mausklickerei ohne jeden Hauch von Taktik.“ – Gameswelt.de: 55 %
„Bei den Haupt-Quests haben sich die Entwickler Mühe gegeben, die Aufgaben interessant, abwechslungsreich und gut erzählt zu gestalten.“ – PC Games: 79 %
„Ich habe selten so viel Langeweile, so viel grausame Dialoge und so viel Unglaubwürdigkeit ertragen müssen. Was soll das bitte sein, Spellbound? Ein Deutschland-sucht-den-dümmsten-Helden-Wettbewerb?“ – 4players.de: 40 %
„Das Kampfsystem ist nicht perfekt, die Story kein Geniestreich und das Spiel kein typischer Vertreter der „Gothic“-Reihe. Aber dennoch ist „Arcania“ ein gut gelungenes, unterhaltsames Spiel, das in eine wunderschön gestaltete Welt entführt.“ – Krawall.de: 80 %
„Im Kern ist Arcania ein Action-Rollenspiel (mit Betonung auf Action) mit belangloser Story, flachem Helden, abwechslungsarmen Aufgaben und ganz gefälligen Kampfsystem.“ – areagames.de: 40 %
„Auch wenn Teil 4 Ecken und Kanten hat und man merkt, dass hier nicht mehr Piranha Bytes, sondern Spellbound am Werk waren, es ist noch genügend Gothic übrig geblieben, dass Charaktere und Plot bis zum Ende fesseln.“ – buffed.de: 80 %
Puhh, auf diese Weise könnte man noch eine ganze Zeit weiter auflisten, was in Arcania: Gothic 4 ganz gut ankommt und was wohl ganz dolle Banane ist. Aber Momentchen mal, die schreiben da doch über das selbe Spiel, oder? Die Geschichte ist also langweilig und abwechslungsarm, aber bemüht und fesselnd. Das Kampfsystem ist anspruchslos, nicht perfekt, aber gefällig, während die Charaktere ganz offensichtlich an einer dissoziativen Identitätsstörung leiden: Mal ist man lächerlich und plappert nur grausame Dialoge daher, nur um wenig später wieder einmal seinen Gegenüber an den heimischen Bildschirm zu fesseln. Wer soll denn da noch durchsehen?
Test oder Blogeintrag?
Ich mag Spieletests. Kompetente Redakteure versuchen, mir ein möglichst umfassendes Bild einer neuen Waschmaschine, eines All-in-one-Druckers, eines Heimtrainers oder eben eines Videospiels zu vermitteln. Dabei dürfen sie gerne auch ihre ganz persönlichen Eindrücke kundtun. Schließlich möchte ich als Leser wissen, mit welcher Voraussetzung der Tester an das Produkt herangegangen ist. Im Fließtext will ich flapsige Kommentare lesen, aberwitzige Vergleiche – die mir eine Wissenstiefe des Testers vermitteln und mir womöglich dienlich sind, wenn auch ich das zum Vergleich Herangezogenen kenne – oder auch einfach nur die Wirkung – um mich einfach einmal auf das Thema Videospiele festzulegen – des Gezeigten auf den testenden Spieler. Ja, all das soll in einem Text stehen. Faktenaufzählungen kann ich auch in eine schnöde Pro- und Kontraliste packen. Und genau das machen die meisten Magazine ohnehin am Ende. Dazu ein kleines Fazit und Schluss.
Ganz anders verhält es sich da mit Blogeinträgen. Diese versuchen oftmals die „Großen“ zu adaptieren und ebenso mit tollen Vergleichen und einem ganz individuellen Stil zu glänzen. Das kann durchaus funktionieren, wenn am Ende ersichtlich ist, was persönliche Meinung ist und wie der betreffende Schreiber zu dieser Meinung kam. Oftmals schaffen es die Hobby-Schreiber nicht. Es fehlt der Kontext zur Person oder essentielle Teile eines wirklichen Tests. Auf ein schnuckeliges Fazit und eine nachvollziehbare Wertungsliste wird dann auch ganz gerne verzichtet, sodass es für den flüchtigen Online-Klicker kaum möglich ist, das Gelesene richtig einzuordnen. Das hat mitunter schon etwas von Amazon-Bewertungen.
Aber: Wertungen sollen möglichst objektiv sein! Schreibt Euch das hinter die Ohren, Du böse „Fachpresse“!
Apropos Wertung 1: Diskrepanz zwischen Text und Wertung
Wenn ich in einem Artikel die recht positive Beschreibung eines Produktes lese, um anschließend eine Wertung vorgesetzt zu bekommen, die diesem Eindruck konträr läuft, dann bin ich als Leser verwirrt. Bei Arcania: Gothic 4 ist dies Kevin Stich von gamersglobal.de sehr gut gelungen. Man liest drei Seiten zur netten Story, einem actionlastigen Kampfsystem und einer wirklich bezaubernden Spielwelt und fragt sich am Ende, warum diese anscheinend passable Leistung nur unterirdische 60 % wert waren.
Das Problem hierbei ist nicht etwa, dass die Meinung des Redakteurs mit der Wertung nicht vollständig kongruent ist, sondern dass die Wertung anscheinend nicht transparent ist und damit nicht objektiv genug erklärt wird, wie die Diskrepanz zustande kam.
Apropos Wertung 2: Welches Spiel bewerten?
Ähnlich merkwürdig, aber wenigstens nicht ganz so verwirrend sind Tests, die sich nicht mit dem eigentlichen Produkt zu beschäftigen scheinen. Hierzu muss man Herrn Jörg Luibl von 4players.de bemühen. Nun muss man zu diesem Testwerk sagen, dass schon auf der ersten Seite klar wird, dass Herr Luibl ein neues Gothic wollte und alles in der Luft zerreißen wird, was nur irgendwie von seiner Vorstellung eines Gothic-Teils abrückt. Während ich bei einem Blogeintrag solch eine Einstellung akzeptieren kann, will sie mir bei einem „seriösen“ Test nicht so recht gefallen. Dass abschließend die Wertung mit dem Fließtext übereinstimmt, ist kaum verwunderlich.
Apropos Wertung 3: Realitätsfremde Skalen
Bei 4players.de ist aber nicht nur der Test besonders spannend, sondern auch die Bewertungsskala. 40 Prozent heißt dort nämlich nicht, dass das Spiel absolut untauglich ist, sondern dass es durchaus ausreichend (für wen eigentlich?) ist. Sind wir doch einmal ehrlich. Niemand interpretiert eine 60er Wertung für ein Videospiel noch als befriedigend. In Zeiten, in denen die Wertungsspirale bereits seit mehreren Dekaden wüten durfte, sind Spiele unterhalb der 75er-Grenze einfach unbrauchbar oder für besondere Liebhaber. Wie gerechtfertigt die Einordnung von Arcania: Gothic 4 in dieser ohnehin sehr merkwürdigen Skala ist, darf jeder für sich selbst entscheiden, nachdem er sich folgende, weitere 4players.de-Wertungen zu Gemüte geführt hat: Hellgate: London: 83 %, Silverfall: 75 %, World of Chaos 41 %.
Apropos Wertung 4: Gegenwart testen
Es nützt es auch nichts, wenn Andreas Philipp von gameswelt.de im Schlusssatz seines 55-Punkte-Fazits anmerkt, dass man doch gerne einmal 10 Punkte mehr vergeben darf, wenn man den zum offiziellen Release erhältlichen Performance-Patch installiert hat. Den Patch, den man sich mit einer Verkaufsversion nach der Zwangs-Online(!)-Registrierung automatisch installiert. Wenn ich einen Test im Anschluss an die Veröffentlichung dem geneigten Leser zugänglich mache, dann sollte ich mich doch auch auf die damit einhergehenden Umstände beziehen und nicht über Versionen urteilen, die nur noch für Kaufverweigerer erhältlich sind. Was nützt es mir als Leser, wenn in einem Satz eine Wertung allein durch den Umstand der Gegenwart verändert wird?
Apropos Wertung 5: Transparente Prozente
Ja, ich will wissen, wie die Punkte zustande kamen. Das Rollenspiel-Magazin von buffed.de (also die Offline-Klo-Variante) hat da ein recht nettes System. Unabhängig vom Redakteur hat jedes Spiel bestimmte Kriterien zu Grafik, Sound, Steuerung et cetera. Die Wertung der Tester, die auf die Spielqualität und den Spieleindruck eingeht, beläuft sich auf gerade einmal fünf Punkte pro Tester. Am Ende sind somit nur zehn Prozent der Gesamtwertung direkt vom rothaarigen WoW-Schreck oder übermüdeten Hobby-Bruchpiloten abhängig. Auch dieses System mag nicht einwandfrei sein, aber ich als Leser bekomme zumindest einen verhältnismäßig unverfälschten Einblick in die Bewertungskriterien. Doof nur, wenn man im Test negative, technische Aspekte des Spiels unter den Tisch fallen lässt. 😉
Fazit
Zum Abschluss sei geschrieben, dass ich selbst Arcania: Gothic 4 weder als besondere Gurke noch als Rollenspiel-Heilsbringer sehe. Für eine abschließende Wertung meinerseits ist es allerdings noch zu früh, weswegen ich Thomas Cap von Gamers.at zitieren möchte, der meinen bisherigen Eindruck ganz gut zusammenfasst:
„Gesteht man dem Spiel allerdings einen eigenständigen Status zu, ist das ganze gleich nicht mehr ganz so schlimm. Unterm Strich ist ArcaniA – Gothic 4 nämlich technisch und spielerisch ein gutes, aber eben nicht sehr gutes Rollenspiel.“ – Gamers.at: 79%
schön aufgefasst und eingestellt Benny.
Aber G4 sieht mal wieder nett aus.
War Gothic nicht mal das Spiel mit den Monster Schweinen mit ca. 1 Million Lebenspunkten?
Hey Benny,
eigentlich konnte ich bisher deine Artikel nicht sooo super leiden 😉
aber der hier hat mich die letzten paar Minuten super unterhalten und triffts leider auf den Kopf.
Und was kann ein schlechter Test schon aussagen, wenn der beste Freund ankommt und sagt, man das neue Gothic ist vielleicht der Hammer….. 😉
Keine Sorge, du musst meine kleinen Ergüsse nicht mögen. Einfach munter kommentieren und an einer Diskussion teilnehmen, reicht völlig.
Lass mich nur kurz deine IP sperren. 😉
Das war nen Lob keine Kritik ^^
ich geh dann mal die IP verstecken…
IMO geht’s den Spieleheften auch darum, sich als „kritisch“ und „beinhart“ darzustellen.
Firmen, die ständig Anzeigen um sechsstellige Eurobeträge buchen, pinkelt man nicht ans Bein: Egal welchen Schrott die Großen veröffentlichen, mehr als milde Schelte ist von kommerziellen Verlagen nicht zu erwarten.
Der Gothic-Hersteller hingegen ist ständig in den Schlagzeilen: Der CEO hat den Hut genommen, die Wirtschaftsprüfer glauben seinen Bilanzen nicht, einige Spiele (Yogawii) waren komplette Misserfolge … ich glaube nicht, dass die noch 4 bis 10 ganze Anzeigenseiten pro Ausgabe buchen wie manche der Großen. Da kann man dann bedenkenlos hintreten und -dreschen, damit die verblödeten Leser glauben, dass man superkritisch und absolutneurtrl sei; auf Jwd hinzudreschen hat keine Auswirkungen auf die einzige wichtige Kernzahl dieser Verlage (die Anzeigeneinnahmen)
Nagel trifft Kopf kritisch!
Sehr schöner Artikel, der mir besonders in Sachen zweifelhafter Wertevergabe aus der Seele spricht. War das schön, als ein Spiel mit einer Wertung im 60-Prozent-Bereich noch „in Ordnung“ war… 🙂
Schön zu lesen Herr Professor Bny oder Bni ^^
Ich für meinen Teil halte überhaupt nichts von diesen Spiele-Tests. Denn ein Computerspiel objektiv bewerten zu wollen ist als wolle man bewerten was denn jetzt besser schmeckt…Fleisch oder Fisch?
Sprich: Spiele muss jeder für sich, also subjektiv testen, über Geschmack lässt sich nicht streiten heißt es.
Ich zum Beispiel stehe sehr auf das atmosphärische, deftige Gericht a la Gothic 1 und 2 während ich das gewagt kulinarische Arcania-Menü weder mit Messer und Gabel berühre, geschweigedenn kauen oder sogar runterschlucken würde. Dann doch lieber ein kleiner aber würziger Risen-Snack! 🙂
Hallo Benny! Wirklich sehr gut ge- und beschrieben. In einer Zeit in der Spieler dem geschriebenen Wort oft schon vor dem Release mehr Glauben schenken und der eigenen Meinung und Erfahrung offenbar nicht vertrauen – vielleicht um in der breiten Masse nicht aus der Rolle zu fallen – sollte sich so manch ein Spieler diesen Artikel mal ganz genau durchlesen. Finde ich sehr gut geschrieben und wird zu gegebenen Anlass direkt verlinkt! 😉
Ugh. Der Post ist mal mindestens genauso schlimm wie jede (Wertungs-)Diskussion um Arcania.
Das wichtigste gleich mal zuerst: „Es gibt keine objektiven Tests!“ Das sollte man eigentlich als dickes, blinkendes Pop-Up auf jeder Spiele-Seite platzieren.
Wie soll es die auch geben, wir reden hier nicht über Autos. Ganz zu schweigen davon, dass zum Beispiel 4Players und Eurogamer selbst sagen, dass ihre Tests subjektiv sind.
Jörg Luibl ist mit seiner Geschichte um JoWood und Gothic sowieso keinen Kommentar wert.
Das mag für manche ein Schock sein aber man kann Bewertungssysteme unterschiedlicher Seiten nicht miteinander vergleichen. (OMG!!!, ich weiß.) So wie es keine objektiven Reviews gibt, gibt es auch keine objektiven, einheitlichen Bewertungssysteme, einer der Gründe wieso Metacritic so ein Schwachsinn ist.
Das geht dann sogar weit, dass man eigentlich nicht mal verschiedene Tests verschiedener Tester und unterschiedlicher Genres untereinander vergleichen kann, die auf der selben Seite schreiben. Das ist wahrscheinlich der Grund für den krampfhaften Glauben an objektive Bewertungen, was natürlich so manches Magazin gerne fördert.
Ich tue jetzt einfach mal als ob „Apropos Wertung 5“ da nicht stehen würde, damit ich nicht vom glauben Abfalle.
Oha, so einfach kann man es sich schlicht nicht machen. Ein Test sollte immer so objektiv wie möglich sein. Ansonsten ist er in Zeiten von dauer-rotierenden Redakteuren, deren Hintergrund man nicht kennt, schlicht nutzlos.
Zumal es Kriterien wie die technische Umsetzung gibt, die man im Vergleich mit anderen Titeln relativ objektiv bewerten kann. Eine gewisse Subjektivität spielt da sicher immer mit rein.
Ein Test, der nur die Meinung des Autors widerspiegelt, ist schlicht kein guter Test, wenn er dem Leser nicht vermitteln kann, warum die Meinung so ausfällt. Daher auch der Aufruf: „Wertungen sollen möglichst objektiv sein!“
Dort wo keine Objektivität möglich ist, sollte eben Transparenz herrschen.
Dass Meinungen auseinander gehen, ist doch selbstverständlich. Im Falle von Arcania: Gothic 4 überschreitet es allerdings meiner Meinung nach eine Grenze, da sie unterschiedlicher kaum ausfallen könnten.
Einziger Punkt den ich bemängeln muss ist die fehlende Freiheit sich die Landschaft zu erkunden wie es einem beliebt.
Gerade bin ich in einem Spielabschnitt unterwegs, da bewege ich mich nur auf schmalen Pfaden entlang. Entweder entlang einer Küste (mit hammer aussicht) oder durch Höhlen in denen sich mir dutzende Gegner opfernd ins Schwert stürzen. Was zudem schade ist, ich kann nicht zurück, zahlreiche Felsvorsprünge die man runter springen musste verhindern ein umkehren um in Gebiete zu kommen in denen ich bereits war.