Retro-Perle: Jagged Alliance 2

Es gab eine Zeit, da waren 350 MB Installationsgröße nahezu eine Unverschämtheit. Immerhin belegte man damit schon allein fünf Prozent seiner gesamten Festplattenkapazität! Patches für Spiele bezog man meist, dank horrender Preise von Modem- oder ISDN-Gebühren, über CDs von Spielezeitschriften. Das Spiel selber wurde obendrein auch noch auf zwei CD ROMs ausgeliefert. Eine ungeheure Datenmenge steuerte auf einen zu, die – im Gegensatz zu heute (man denke an ein Modern Warfare, das auf DVD9 daherkommt, 8,9 GB Installation benötigt und dann im Singleplayer-Modus nur rund 7 Stunden Spieldauer bietet) – zumindest bedeutete, dass das Spiel eine Menge beinhalten und einen dutzende Stunden vor dem PC fesseln würde. Das 1999 erschienene Jagged Alliance 2 von SIRTECH war so ein Spiel. Genau dieses Spiel mit eben diesen Anforderungen.

Ich weiß noch, wie ich mein Windows 98 mit dem Bereinigungsassistenten strietzte, unweigerlich zwei andere Spiele deinstallierte, nur um genügend Platz für die Installation und Speicherstände (man weiß ja nie wie groß die werden können) zu haben. Aber all dieser Aufwand hatte sich gelohnt.

Jagged Alliance ist ein rundenbasiertes Taktik-Rundenstrategie-Shooter Spiel aus der isometrischen Perspektive. Nicht, dass dieses Szenario neu wäre, aber die Möglichkeiten, der Witz und die Dynamik wurden bis dato von keinem anderem Spiel erreicht. Man startet an einem Notebook. Hier erhält man E-Mails von diversen Organisationen, die auf einen Shop hinweisen, in dem man Zubehör, Waffen oder Munition kaufen kann – die wohl wichtigste Mail stammt jedoch von einer Firma, die gerne ein paar Fragen beantwortet hätte. Genau hier beginnt die Individualisierung des eigenen Charakters. Doch anstatt langweiliger Multiple Choice Fragen, verpackten die Entwickler das Ganze auf eine sehr spezielle Art und Weise. Anstatt zu fragen, welche Spezialisierung man gerne haben möchte und diese einfach anklickt, wird man mit Hilfe von Fragen und ihren lustigen Antwortmöglichkeiten zum Charakterersteller.

Ich erinnere mich noch, wie ich damals meinen ersten Charakter ausgesucht habe: Gewissenhaft und so, wie ich denke, dass es richtig gut sei. Unfug war es. Später erstellte man sich – nicht einmal, um das Spiel durchzuspielen – Charaktere, die mit dem Extrem jeder Antwort des Charakterfragebogens ausgestattet war – nur um zu sehen, was für ein Typ am Ende herauskommt.

Doch ein Mann macht noch keine Armee. Jagged Alliance 2 ist ein Spiel, in dem man mit einer Gruppe Söldner den Geheimauftrag der Vereinigten Staaten von Amerika hat, den fiktiven Staat Arulco von seiner bösen Diktatorin zu befreien und das Drogenkartell dort niederzustrecken. Zusätzliche Söldner werden angeheuert, indem ich mir diese in einer tollen Kartei aussuche, diverse Filter setze wie zum Beispiel Fähigkeiten, und mir dann je nach Budget Söldner tageweise oder wochenweise kaufe. Toll hierbei ist, dass sich nicht alle zwingend gut miteinander verstehen. Der rabiate Russe Ivan hat zum Beispiel Probleme mit der schönen Scharfschützin aus den USA und haut prompt ab, da er einfach keine Lzst auf eine Auseinandersetzung mit ihr hat. Und das alles trotz bereits im Voraus bezahlter vier Tage Söldnerarbeit.

Das Spiel ist in quadratische Bereiche unterteilt, die entweder via automatischer Fortbewegung über die taktische Karte erreicht werden, oder indem man einfach selbst im Gebiet in der isometrischen Ansicht von links nach rechts das Gebiet durchquert. Doch überall lauern Gefahren. Anhänger der Diktatorin trachten Euch beispielsweise nach dem Leben. Man kann hier entweder in der taktischen Karte kämpfen lassen, oder selbst Hand anlegen und in packenden rundenbasierten Aktionen die Gegner zur Strecke bringen.

Außerhalb eines Kampfes kann man zwischen den Mitgliedern der Söldnertruppe frei hin- und herschalten und deren Kenntnisse in Medizin, Sprengstoff oder andere Dinge jederzeit frei nutzen. Hierbei kann ein Söldner mit einer gefundenen Drahtschere (ja, überall in der Welt gibt es Werkzeug, Munition, Waffen, Verbandskästen und andere Gegenstände, die man finden und in sein begrenztes Inventar stecken kann) Zäune aufschneiden oder mit einem Brecheisen Türen und Truhen knacken, um an Gegenstände zu kommen. So kann man auch eine Flasche mit Benzin und einem T-Shirt zu einem Molotov-Cocktail umfunktionieren. Sobald man aber in einen Kampf verwickelt wird, sind Aktionen wie diese mit sogenannten Aktionspunkten limitiert. Nutzen könnt Ihr diese Zähler, um Euch zu ducken, fortzubewegen oder anzugreifen. Vielleicht wollt Ihr aber auch Mitspieler heilen. Es ist ganz Euch überlassen, was Ihr mit den Aktionspunkten anstellt.

Um sich durch das große Land zu schlagen muss man nicht jeden Sektor besuchen. Es empfiehlt sich dies jedoch zu tun, da man so häufig nützliche Gegenstände findet. In den Städten von Arulco könnt Ihr auch eine eigene Miliz ausbilden, die die Stadt oder das Dorf verteidigen, falls weitere Anhänger von der Drogenbaronen eintreffen sollten.

Alles in Allem ist Jagged Alliance 2 ein sehr dynamisches Spiel mit vielen verschiedenen Lösungswegen. Für mich eine waschechte Retro-Perle – nicht nur im Taktik-Genre.

Es wurden zwar noch Mods und Addons für das Spiel entwickelt, doch die führen nicht die Spielfreude des Grundspiels fort. Derzeit liegt die Lizenz in Russland. Ein dritter Teil beziehungsweise ein Jagged Alliance 3D, doch die Produktion wurde auf Eis gelegt. Angeblich soll es jedoch noch in diesem Jahr ein Revival als Browserspiel geben. Ob das allerdings der richtige Weg ist, bezweifle ich sehr. Ich wünsche mir einen echten dritten Teil mit moderner Grafik, mit dem Charme von Jagged Alliance 2.

Gastbeitrag von Kevin Waberski. Leidenschaftlicher Zocker, Webdesigner und Spieletester von Aquariumterror.