Benny 2019: Brettspiele mit Miniaturen spielen, Kindern Zöpfe flechten und am PC mehr programmieren als Videospiele spielen. Zeiten ändern sich. Veröffentlicht vonBenny Matthiesen

Das Ende ist da: Mass Effect 3 schließt die Akte Shepard. Ist das noch Rollenspiel? Muss man es Cover-Shooter nennen? Ist es ein Action-Adventure oder ein SciFi-Filmchen mit Multiple-Choice-Dialogen? Spielt das überhaupt eine Rolle? Schon irgendwie, glaubt man den zahlreichen Kommentatoren in Online-Foren und Bewertungsbeiträgen. Wir Menschen denken gern in festen Kategorien: Nennen wir es also BioWare-RPG. Ein ganz eigenes Genre, das nach Neverwinter Nights nur noch wenig mit Rollenspielen der alten Tage gemein hat. Spieler, die glauben, dass ebensolche nur durch ein Inventarsystem definiert werden, müssen an dieser Stelle „nach Neverwinter Nights“ mit „nach Mass Effect und Dragon Age: Origins“ ersetzen. Mass Effect 3 unterhält auf seine ganz eigene Art und torkelt dabei zwischen den Genregrenzen – wie so viele Videospiele unserer Zeit. Willkommen zur ersten Staffel „Videospieler suchen passende Genre-Bezeichnungen“, kurz VSPGB.

Spoilerfrei

Mass Effect 3: Explosive Enthüllungen zu diesem Burschen braucht ihr in diesem laserstrahlmittodesfolgegeilen Artikel nicht erwarten. Relevante Sachen zum Inhalt müssen draußen bleiben.
Mass Effect 3: Explosive Enthüllungen zu diesem Burschen braucht ihr in diesem laserstrahlmittodesfolgegeilen Artikel nicht erwarten. Relevante Sachen zum Inhalt müssen draußen bleiben.

Das muss man ja mittlerweile zu jedem Mass-Effect-3-Beitrag schreiben: Das ganze Text-Dingelchen hier ist frei von Storyspoilern; kommt also ohne inhaltlichen Vorwegnahmen der jüngsten BioWare-Produktion aus, versucht aber gleichzeitig irgendwie was Kluges oder zumindest Unterhaltsames zum Thema beizutragen. Bisschen Metaebene für Intellente, Studienabbrecher und solche, die es noch werden wollen.

Die „Früher-Keule“

Das waren noch Zeiten, als ein kleiner Klempner schön von links nach rechts lief, gegen Klötzchen plauzte und gelegentlich in dunklen Rohranlagen auf Tauchstation ging. Wir nannten das Jump’n’Run – natürlich komisch ausgesprochen; wir waren ja noch ganz klein –, Mama und Papa sagten Hüpfspielchen und „Sitz‘ nicht den ganzen Tag vor der Flimmerkiste!“ dazu. So einfach war das.

Doch heute wäre eine so klare Eingrenzung nicht mehr vorstellbar. Schließlich konnte Mario, unser Protagonist, pilzeessenderweise neue Kräfte aktivieren. Fortan zerschmetterte er Gumbas und Koopas mit zerstörerischen 8-Bit-Sprüngen. Fast schon beat’em-up-gleich verprügelte er Hammerbrüder und Kugelwillis. Mit der Macht des Sternes wurde er zum unbesiegbaren Sprinter, Pflanzen-Upgrades verliehen ihm die Möglichkeit, Feuerbälle zu schleudern – eine Spezialisierung auf Eis oder Blitze gab es nicht. Und das ist auch gut so. Sonst wüssten wir heute nicht mehr, welchem Genre Super Mario Bros. aus dem Jahre 1985 zuzurechnen ist. Schnell würden wir uns in Diskussionen verlieren, ob das schon zum Rollenspiel reicht. Schließlich konnten wir sogar den Fortgang der Geschichte frei bestimmen – dank der Warp-Zonen, dem Vorgänger des Multiple-Choice-Dialoges.

Das Wesentliche bezeichnen

Super Mario Bros.: Hochsprung-Simulation oder doch nur Jump'n'run?
Super Mario Bros.: Hochsprung-Simulation oder doch nur Jump'n'run?

Eigentlich hätten wir das Spiel der Klempnerbrüder „Jump’n’run’n’mushroom-strength’n’flower-fire-power’n’star-sprint’n’warping’n’diving’n’vine-climbing“ nennen müssen – oder so ähnlich. Aber nein, unabhängige Tester des kostenlosen Nintendo-Fan-Magazins (nehmt das, ihr Xbox-Jünger, kostenlos!), PR-Heinis und Gleichaltrige führten uns mit der Verknappung auf Jump’n’run hinters Licht. Und irgendwie nahmen wir ihnen das gar nicht übel. Jump’n’runs waren schlicht Spiele, in denen man umherhüpfen konnte und musste; meist von links nach rechts; als Klempner, blauer Igel, persischer Prinz, Äffchen oder Sneekers und weiße Handschuhe ohne Extremitäten. Dazu kamen irgendwelche irrsinnigen Ideen der Entwickler, die das Spiel spielenswert machen sollten, die aber keinen Einfluss auf die Genrebezeichnung hatten. Erst in 2D, dann in 3D – das hatte dann wieder Einfluss.

Parallel dazu gab es die klassischen Beat’em Ups, böse Kampfprügelspielchen für künftige ineffiziente Amokläufer, Simulationen und Sportspiele, Tetris, Rollenspiele, Point’n’click-Adventure und Shooter für tatsächliche angehende Amokläufer. Unsere Welt war einfach, bis die Genregrenzen durchlässig wurden.

Genre-Mischpoke #2

Auf einmal sprangen Dreiecks-Brüste in Third-Person mit gezogenen Knarren über Abgründe von Plattform zu Plattform wie einst ein Super Mario – also Jump’n’run. Die gut bestückte Lara ballerte aber auch wild um sich – also Action. Dabei erlebte sie eine Abenteuergeschichte fernab von „Rette die Prinzessin“ – also Adventure. Gemeinsam mit einem Inventarsystem (Das muss ein Rollenspiel sein!) und Rätseln (Puzzle-Spiel?) wäre die treffende Genre-Beschreibung für die Tomb-Raider-Reihe viel zu lang für jeden Verpackungstext (das ist so etwas wie ein Beschreibungstext einer Digital-Edition auf Pappe ausgedruckt). Die Verkürzung fiel auf Action-Adventure. Klingt auch knackig. Außerdem wissen wir, dass sich niemand gegen alberne Alliterationen wehren kann.

Warum eine Genrediskussion bei Mass Effect 3?

Mass Effect 3: Wenn ich jetzt abdrücke, schreit hier alles "Shooter!"
Mass Effect 3: Wenn ich jetzt abdrücke, schreit hier alles "Shooter!"

Kommen wir langsam zum Punkt. Würdest du, lieber Leser, Battlefield 3 einen Rollenspiel-Shooter nennen, weil man Erfahrungspunkte sammeln kann, um bessere Ausrüstung freizuschalten? Würdest du, lieber Leser, Fifa 12 ein Rollenspiel-Sportspiel nennen, weil der eigene Pro-Charakter einzelne Attribute aufwerten kann, oder gar Action-Rollenspiel-Sportspiel, weil er sogar schießen kann? (Heute zündet wirklich jeder Witz!) Ist ein Rennspiel mit Tuning-Optionen ein Tuning-Rennspiel oder doch nur ein Rennspiel? Eine Renn-Simulation wird schließlich nicht durch bloße Tuning-Optionen bestimmt, das kann es nicht sein. Warum trennen wir zwischen Rollenspielen und Japano-RPGs, verweigern aber BioWare ein eigenes Genre? So viele Fragen.

Mass Effect 3 ist das, was das Entwicklerstudio BioWare seit der Post-AD&D-Ära mit den beiden Hausmarken Mass Effect und Dragon Age macht: ein bisschen Rollenspiel hier, viele Dialoge und Cinematics da, actionreiche Kämpfe (und kommt mir nicht damit, dass ME1 und DA:O voll die taktischen Rundenrollenspiele waren), Emotionen und Klischees, mäßige Inventarverwaltung, eine noch viel mäßigere Charakterentwicklung und a bissel Fickificki. Und Schlauchlevel; aber die kennen wir schon aus KotOR und Neverwinter Nights.

Was ist ein Rollenspiel?

Mass Effect 3: Mini-Inventar - kann das ein Rollenspiel sein?
Mass Effect 3: Mini-Inventar - kann das ein Rollenspiel sein?

Dass Shepards Weltenrettung kein Rollenspiel nach klassischem Vorbild mehr ist, ist doch wohl jedem klar. Das sind The Witcher, Skyrim und Co. aber auch nicht. Irgendwie scheint jedes Spiel eine Portion Action oder Adventure, Sabbelei oder Schleicherei abbekommen zu haben. Aber sollten Tester und Spieler deswegen nur noch klassische AD&D- beziehungsweise DSA-Rundenrollenspiele (von mir aus auch Shadowrun) mit ausgewürfelten Attributen, ausgewürfelten Angriffen, festen Klassen, schnöden Texteinblendungen, Flim-Flam-Funkel-Aufsagen und noch viel statischerer Geschichte Rollenspiel nennen dürfen?

Dann müssen auch Ausrüstungsgegenstände wie in den alten Tagen eine untergeordnete Rolle für die Charakterentwicklung spielen, damit niemand auf den Gedanken kommt, das Spielgenre Wardrobe-Manager zu erfinden. So gesehen wäre Mass Effect 2 mehr Rollenspiel als der erste Teil. Und der Abschluss der Trilogie wäre mit seiner modifizierbaren Ausrüstung und minimalst spezialisierbaren Fähigkeiten näher an Battlefield 3 als am Uralt-Rollenspiel Schicksalsklinge. Immerhin in einem Punkt gleicht ME3 seinem DSA-Ahnen: Es gibt wieder mehr Texttafeln – faule Synchro-Bande! Und die Entscheidungsfreiheit ist bis auf wenige Ausnahmen nicht mal mehr vorgetäuscht. Aber auch da schwingt BioWare eben die derzeit angesagte Retro-Keule (Vintage), indem der Spieler nur noch minimalen Einfluss auf den Fortgang der Geschichte hat. Die Leertaste bleibt euer bester Freund: Eine Allzweckwaffe im Balkenformat sozusagen. Dafür ist das jetzt auch alles schöner animiert.

Schlusswort

Mass Effect 3: Beurteile nur, was du siehst: ein Weltraum-Pentepus.
Mass Effect 3: Beurteile nur, was du siehst: ein Weltraum-Pentepus.

Nehmt und wertet Mass Effect 3 also als das, was es ist. Der Abschluss einer Trilogie, die wie folgt endet: Verdammt, in einem Podcast hätte ich jetzt so tun können, als ob ich alles verrate. Im Text seht ihr ja, dass hier nicht mehr viel kommt. Screw you medium! Vielleicht fülle ich die Zeilen jetzt einfach noch ein bisschen und schreibe, dass man niemals nicht als Tester seine Erwartungen als Nonplusultra sehen sollte und schon gar nicht als Ausgangslage für eine abschließende Bewertung. Viel besser wäre es doch, auf das eigentliche Material einzugehen und das zu bewerten, was es letztendlich ist – frei von Genregrenzen. Ganz wichtig dabei: Unterhält es? Dann Daumen hoch. Als ob Mass Effect 1 jetzt voll das krasse Rollenspiel gewesen wäre. Hihi. War ’ne nette Geschichte. Auf die scheint es mir anzukommen. Eigene Wünsche kannste noch immer im Fließtext unterbringen. Oder in einem total duften Kasten: „Hätt ich jetzte mehr von erwartet:“ oder „Was Rollenspieler nicht erwarten sollten:“ Und damit Ende. Danke und einen guten Tag.

 

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14 Kommentare

  1. Ich werfe „Cinematicgame“ in die „Lasst-uns-was-in-Kategorien-quetschen“-Runde, da Storytelling und Inszenierung die entscheidenden Merkmale in ME3 sind – behaupte ich jetzt einfach mal, ohne es gespielt zu haben.

    Oder geht’s um was ganz anderes? Ich habe den Artikel nicht gelesen, da sind doch bestimmt SPOILER drin! (Okay, das war gelogen.)

  2. Gnaaw, ein geiler Artikel, Benny was rauchst/trinkst du eigentlich während du schreibst. 🙂

    Besonders gefallen hat mir der Verweis auf das klassische (echte) Rollenspiel á la DSA und der Bezug auf eine handvoll PC-Titel.
    Ich denke wenn man den Schuh umkehren würde und mal so die Spieler fragen würde mit: „Was ist Rollenspiel?“ würden denke ich Antworten zurückkommen wie:

    .“Aaaaah, da macht man sich nen Charakter und tötet Wölfe!“
    .“Da tut ma Skillpunkte verteilen!“
    .“Ih das macht ganz dolle süchtig, meine Mama hats mir verboten!“

    Und wer bei Mass Effect in Dialogen jemals auf Leertaste drückt wird nach Tuchanka geschickt!

    BTW:
    The Sims3 ist keine Lebenssimulation sondern ein Folterspiel aus der Isoperspektive, denn es gibt ein Lebensziel bei dem man den Geist des verstorbenen Ehepartners sehen muss, also das liebe Frauchen eingemauert, verhungern lassen, jahaha das macht dem Mauti Spaß! 😛

    1. Tuchanka? Hört sich spassig an *Koffer pack*. Ich bin leider so ein nerviger Leertastendrücker, was aber hauptsächlich daran liegt das ich schneller lese als vorgelesen wird und mir das zu lange dauert 😛

  3. du meintest doch Third-Person oder ? bei: „…Dreiecks-Brüste in Thirst-Person mit gezogenen Knarren…“

  4. Ich habe beim Durchlesen öfter mal gelacht, sehr amüsant geschrieben und doch lässt sich für mich die nach BD Ära von BW einfach zusammenfassen:

    interaktiver Film also „iF“ in KoToR noch nicht so ganz aufdringlich, jedoch bei den von Dir erwähnten Teilen einfach zu viel. Wer das mag und seine Freude daran hat, dem sei es vergönnt, das größte Problem dabei für mich sind nichtmal die fehlenden Rollenspielkomponenten, sondern vielmehr das absolut schlauchartige Weltendasein.

  5. Der Benny trifft den Nagel wie immer auf den Kopf. 😀 Kann es sein, dass es bei Spielegenres inzwischen ähnliche Züge annimmt, wie bei Musik? 😉

  6. Mal wieder ein super unterhaltender Beitrag mit „tieferem Sinn“ von Benny, vielen Dank!

    auch wenn ich die ME-Serie nicht wirklich kenne, Genre haben so eine Tendenz zu verschwimmen, zusammengefügt, vermischt, chemisch getrennt und dann mitm Mixer ver.. wie auch immer…

    muss man als Spieleentwickler heutzutage ja fast… man muss ja „innovativ“ sein… und das finde ich gut, so gibts dann immer mal wieder einige perlen wie z.B. Borderlands… Wenn du mich fragst, ich will ein MMOFPRPS.. massively multiplayer online first person role play shooter… DAS wär mal was 😀

    1. hui dass ich da noch nix von gehört hab… hab eigentlich gedacht dass ich mich da kundig gemacht hab… aber danke für den Hinweis!

      Planetside 2 könnte da ja echt was werden… scheint mir aber relativ stark auf PVP ausgelegt zu sein von dem was ich mir jez angeguckt hab… da kann ich ja dann fast schon wieder CoD spielen, mit ausbaubaren Waffen und Skills ist es ja dann nur noch das MMO was die 2 unterscheidet…

    2. Ohne Global Agenda kein Tribes: Ascend! 😛 In GA haben die Jungs für den Ernstfall geübt, von daher… 😉
      Etwas Gameplay: http://www.youtube.com/watch?v=Ru3_BuinxJ0

      Was übrigens auch in den Bereich MMOFPS schlägt, und genau wie Planetside 2 auch F2P sein wird, ist FireFall. Konnte ich schon auf der GC2011 anspielen, und hat mich überzeugt. 🙂

      Zu Planetside 2:
      „The PlanetSide 2 team has plans to launch PvE world events such as alien invasions where all players will put aside their differences to combat a shared threat.“

      Mehr wüsste ich leider auch nicht zu PvE. 🙁

  7. Danke für die erwähnung von Shadowrun, obwohl der „Shooter“ in meinen und Fanaugen mit dem Spiel (Pen’n Paper… oh wieder ein Gere xD ) gehasst wird…
    War sehr amüsant und ja hast recht 😉

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