Eigentlich habe ich Urlaub, als mich Imkes Hilferuf über das allseits bereite Smartphone ereilt, während ich gedankenverloren von fernen Zeiten träume. Damals, als eine Seefahrt noch Monate dauerte und man für niemanden erreichbar war. Mein Insignien-Kommunikator pfeift und aus dem Kapitän von damals wird der zukünftige Captain Glatzenschädel mit dem französischen Alter-Ego. Als sich diese Treffen-der-Generationen-Szene in meinem Kopf vervollständigt, erfahre ich von der Stimme auf der anderen Seite dieser kleinen Sprech-und-Quälbox, dass für diese Woche noch der Wochenendzocker fehle – ob ich aushelfen könne?
Ich sitze im Zug. An mir zieht die Republik vorüber. Ab und zu schaue ich mir die malerischen Landstriche an, die sich jenseits der Gleise erstrecken. Doch immer öfter ertappe ich mich dabei, wie ich auf ein fettverschmiertes Display starre und meine Finger und meinen Geist versuche beschäftigt zu halten, bis eine verrauschte Kratzestimme angibt: „Thänk kju for träwweling wiz deutsche bahn,“ und ich umsteigen muss. Also ja, warum auch nicht? Eine Rundfahrt durch die Republik in iPad-Apps. Den Knopf gedrückt und nachgeschaut: Was habe ich denn auf meiner Reise so alles dabei?
Erste App, erster Vorhang:
Töpfernd nach Tuttlingen
Nein. Ich flunkere nicht. Es gibt eine Töpfer-App für das iPad. Und so bizarr es klingt, sie macht süchtig wie das nächstbeste MMOG. Vorbei sind also die Zeiten, in denen man in der zweiten Klasse die Töpferscheibe ausgepackt, den Lehm mit dem im Bordbistro erstandenen Teuer-Wasser befeuchtet – und dann nach Herzenslust auf dem Abteiltisch herumgematscht hat, bis sich der werte Herr Schaffner danach erkundigte, ob man wohl den Verstand verloren habe.
Das geht heute wie so vieles eben: virtuell. Schon nach den ersten paar Lektionen ertappt man sich dabei, wie man zu sich selbst sagt:
„Nur noch eine Vase, und eventuell dann noch einen Krug, damit ich mir das aztekische Ornament freischalten kann.“ Und wir wissen ja alle: wenn wir das Ornament dann erstmal im Töpfer-Repertoire haben, dann wollen wir auch eine schöne ansehnliche Schale in dunklen Erdtönen damit verzieren.
Die Vollversions-App: Lets Create: Pottery HD gibt es für knapp 4 Euro im iTunes AppStore. Für Gelegenheitsbastler und jene, die sich auch auf eine iHäkel-Anwendung einlassen könnten, eine klare Empfehlung. Das Spiel gibt es zum Antesten auch in einer kostenlosen Light-Version. Ich bin diesen Weg gegangen, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass eine Töpfer-App überhaupt funktionieren könnte.
Zweite App, erste Szene:
Battlend nach Böblingen
Battleheart ist der Grinder unter den Grindern – was nichts Negatives sein muss. Die Story ist auf ein Minimum reduziert und spricht sich in etwa so: „Königreich ist vom Bösen befallen. Los, mach Böses weg!“ OK! Mehr brauche ich unterwegs nicht. Spiel an, rein ins Vergnügen und dann feste draufhauen. Ohne Kopfhörerzwang, mit klar sichtbaren Visualisierungen – auch bei starkem Sonnenlichteinfall. Und dass immer wann ich will und für ein paar Minuten (oder Stunden, wenn der Zug dann doch mal wegen überhitzter Klimaanlagen etwas länger stehen muss). Perfekt.
Das Spielprinzip ist simpel. Man heuert Gefährten in der Taverne an, kauft und verkauft Ausrüstung beim Händler, lernt Fertigkeiten in der Akademie, Rüstet die Recken in der Waffenkammer aus und verändert die Zusammenstellung des Kampftrupps in der Burg. Danach geht es mit bis zu vier zu steuernden Charakteren auf das Schlachtfeld, wo sich die Brillanz hinter Battleheart offenbart.
Man steuert seine Charaktere mit simplen Befehlen wie „Ziehen“ und „Wischen“. Die Kämpfe verlaufen in jeder Zone anders: Manche Monster können von schwer gerüsteten Kämpfern getankt werden, andere hauen so heftig zu, dass man sie besser verlangsamt und während des Kampfes „kitet“ – wie der geneigte MMO Spezialist so schön sagt. Überhaupt spielt sich das Spiel wie ein kleines RPG (ohne RP) bei dem alle Kämpfe kleine Rätsel sind. Spätestens bei der ersten Bossbegegnungen kommen dann Überlegungen auf, wie an mäßig komplexe Schlachtzugs-Taktiken erinnern: Wie reagiere ich auf diese Fertigkeit? Wo muss ich in Phase 2 stehen? Und was zur Hölle hat jetzt meine Gruppe gewiped? Gearcheck inklusive: Ist ein Boss oder ein Kampf zu hart, dann muss ein höheres Level und bessere Ausrüstung her. Ab jetzt beginnt der Grind. Viel Spaß – der Weg ist das Ziel. Immer mal ein paar Minuten.
Ohne spoilern zu wollen, endet das Spiel nach dem Sieg über den letzten Boss mit einer simplen Einblendung: „Thank you for playing“ – und auch ich sage: „Thank you for having me, danke für dieses Spiel.“ Manchmal muss es gar nicht mehr sein: Ein gelungenes Spielprinzip, ein nettes Design und vor allem viel Spielspaß. Von Zeit zu Zeit möchte ich mich gar nicht in endlosen Dialogen verlieren und mich einer Story hingeben. Vor allem unterwegs, wenn es sein kann, dass ich ein Spiel ein halbes Jahr liegen lasse… da erinnere ich mich dann eh nicht mehr an die letzte Spielsitzung.
Battleheart kostet im iTunes AppStore 2,39 Euro und wird für alle iDevices (iPhone, iPad und iPod) freigeschaltet.
Dritte App, erster Aufzug:
Händeschüttelnd nach Halle
Gerade an Leipzig vorbeigefahren und auf dem Weg in die Tiefen des wilden Ostens bekomme ich es mit der Angst zu tun (keine Angst, das ist eine kleine Notlüge für den Einstieg – in Wahrheit wohne ich in Leipzig, eine der schönsten Städte Deutschlands) – ich spüre das dringende Bedürfnis, jemanden an der Hand zu halten. In diesem Moment tippe ich mit meinem Finger auf das Joining-Hands-Icon auf dem iPad-Schirm.
Joining Hands ist eines jener Puzzle-Spiele, die absolut simpel beginnen und sich dann gewaltig in der Schwierigkeit steigern. Die ersten Level purzeln im Sekundentakt, während man sich bei späteren dabei ertappt, schon den besseren Teil einer Stunde auf sie verwendet zu haben. Es gibt immer einen leichten und einen schwierigen Weg, ein Level zu meistern. Möchte man jedes der 162 Level mit einem Stern abschließen, muss man bei der Platzierung seiner knuddelbedürftigen „Spielsteine“ schon sehr wohlüberlegt vorgehen. Während alledem gibt es keinerlei Zeitdruck – wofür es von mir noch mal einen extra Pluspunkt gibt. Highlight dieses Anfass- und Schmusespaßes sind die Emo-Steine. Während alle anderen händchen- und tentakelhaltend glücklich sind, kann man die Emos nur dadurch zum Lachen bringen, indem man sie einsam und verlassen in eine Ecke setzt und sie in Frieden lässt. Genial!
Joning Hands gibt es für 2,39 Euro im iTunes AppStore und wird für alle iDevices freigeschaltet.
Vierte App, erste Bühne:
Frakturiert nach Frankfurt
Fractal ist ein kurzweiliges Puzzle-Spiel für zwischendurch oder ganze Spielabende. Je nach Geduld- und Spaßfaktor. Das Ziel ist je nach Modus ein anderes. Mal geht es darum, so lange wie möglich durchzuhalten, mal muss man mit einer vorgegebenen Anzahl an Zügen eine gewisse Punktzahl erreichen, oder aber das komplette Spielfeld freiräumen. Auch die Zeit und die Geschwindigkeit, in der man zieht, kann in manchem Modus über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Punkte bekommt man, indem man Spielsteine in eine spezielle Form auf dem Spielfeld schiebt: die sogenannte Bloom. Möchte man mehr Punkte, versucht man sich an einem Cluster – ein Multiplikator einer Bloom. Geschickte Leger schaffen es auch, ihre Teil-Blooms so aufzubauen, dass sie sich bei Vervollständigung in einer wahren Kettenreaktion entladen – Extrapunkte winken und sind in manchen Leveln überlebensnotwenig.
Was aber in Zeiten moderner Speichertechnik absolut nicht mehr notwenig ist, ist ein schlechtes Spielstandssystem. Und dafür bekommt Fractal von mir den „Olololol, wir haben 2011“-Fail-Award. In der Kampagne wird nur jedes fünfte Level zwischengespeichert – und das geht einem schon ziemlich schnell auf die Nerven. Nicht nur, dass man ab und zu doch mal schnell aus der App raus muss, um etwas anderes zu tun – und Fractal gerade bei Multitasking doch ganz gern auf den Starbildschirm zurückspringt. Nein, es geht auch auf den Keks, dass man dieselben einfachen vier Level wieder und wieder spielen muss, nur um dann wieder am schweren Level zu scheitern. Und das schreibt jemand, den schon erzwungene Animationen und dröge Zooms bei Puzzlern wie Cut-the-Rope und Angy Birds auf die Palme bringen. Unverzeihlich.
Gutstellen kann sich Fractal durch sein minimalistisches, aber höchst elegantes Design und durch seinen exzellenten Musikeinsatz. Die Musik reagiert auf die Aktionen des Spielers und die Siegesbedingungen eines Levels. Je mehr Spielraum nach oben hin für Fehler oder falsche Moves übrig ist, desto vergnügter und verspielter erklingt auch die Musik aus dem iPad Lautsprecher oder den Kopfhörern (was der Hersteller für den Genuss der Musik eher empfiehlt). Gehen die Zeit, die Moves oder andere wichtige Ressourcen zu Neige, beruhigt sich die Musik. Anders als viele Spiele setzt Fractal seine Spieler nicht unter zusätzlichen Stress, indem die Musik hektischer wird, sondern versucht den Spieler zu beruhigen und ihm sein nahes Ende immer zäh- und zähflüssiger auditiv zu vermitteln. Gelungen. Da aber der Spielspaß für mich in Kritiken immer an oberster Stelle steht, kann ich eine Empfehlung nur für geduldige Puzzler aussprechen, die auch ein leichtes Level immer und immer (und immer) wieder auf sich nehmen, nur um sich dann wieder dem eigentlich schweren Level annehmen zu dürfen.
Fractal gibt es für 1,79 Euro im iTunes AppStore.
Letzte App, Schlussakkord:
Contreéschlürfend nach Cottbus
Abschließend wollte ich noch ein paar Worte über Contre Jour verlieren, als mein Zug dann aber schon verdächtig nahe an meine Haltestelle herangefahren war. So konnte ich nur die ersten Level anspielen, weshalb ich kein vollständiges Bild des Spiels liefern kann.
Was mir bei diesem kleinen Plattformer besonders gut gefallen hat, ist die Tatsache, dass man nicht den kleinen knuffigen Schatten-Ball steuert, sondern das Terrain unter seinen Füßen manipuliert und ihm hier und da eine Liane zum Greifen hinhält. So entsteht eine herrlich skurrile Steuerung, die so „andersrum“ ist, als man das in gewöhnlichen Spielen antrifft. Und da ich Seit LocoRoco ein absoluter Fan von „Andersrum“-Steuerung bin, hat mich das Spielkonzept von Contre Jour gleich ins Herz geschlossen.
Contre Jour gibt es für kleine 0,79 Euro im iTunes AppStore.
Epilog und Abgesang
Da habe ich Euch heute fünf verschiedene Spiele vorgestellt. Doch alle haben sie eines gemeinsam: Sie sind kleine, große Spiele für zwischendurch, die man immer mal wieder in die Hand nehmen kann, ohne sich lange einarbeiten, oder sich eine ausgedehnte Handlung merken zu müssen. App starten und rein ins Vergnügen. Für ein Wochenende unterwegs wie gemacht. Klar ist ein Mass Effect ein Epos für unzählige gemütliche Abendstunden – und im Umfang gleichzusetzen mit einer ganzen Staffel einer ausgewählten Sciences-Fiction-Serie. Aber manchmal braucht man das alles nicht. Manchmal braucht man einfach nur ein wenig gesunde Instant-Action auf Knopfdruck.
Viel Spaß beim Daddeln. Ab.
Eine sehr schöne Übersicht über unterhaltsame Spiele, die ihr da immer wieder zusammenstellt!
Nun gibt es neben iOS aber noch (mindestens) ein anderes System, Android heisst das, für das ich auch gerne Spiele von euch präsentiert sehen würde.
Naaaa, wann darf ich mich über den Android-Gamer-Artikel freuen?
Gruß
Andreas
Stephan beschwert sich auch schon die ganze Zeit 😉 Er hat ein Android, ich ein iPhone^^ Ich werde ihm das einfach mal für ein paar Stunden entreißen und schauen, was ich für unterhaltsame Spiele für sein Handy finde.
Dein Anliegen ist somit nun offiziell auf der To-Do-Liste gelandet 🙂
Der Android-Beitrag ist tatsächlich auf der Liste der potentiellen Themen. Wenn nur Dungeon Defenders endlich einwandfrei auf Android/Galaxy S2 laufen würde. 😉 Natürlich gibt es daneben noch ein paar Perlen, die wir nicht unter den Tisch fallen lassen – zu gegebener Zeit.